aus bma 06/04

von Bernd Lakeberg

Bernis Wing Eigentlich darf ich ja gar nicht für eine Motorradzeitung schreiben und erst recht keinen Erfahrungsbericht! Ich bin nämlich kein richtiger Motorradfahrer mehr, denn ich gurke jetzt schon im vierten Jahr mit meiner beleuchteten Schrankwand durch die Gegend und bin immer noch total begeistert von diesem Antimotorrad, diesem Gelenkbus, obwohl mir immer noch die Mikrowelle fehlt. Aber deswegen gehöre ich ja noch längst nicht zur Fraktion der Richtigen.
Angefangen hat das Thema GoldWing mit dem Schluss, genauer mit dem Entschluss, mein damaliges, richtiges Motorrad (KTM-Crosser) zu verkaufen und nach über 20 Jahren mit dem Fahren aufzuhören.
Keine Lust mehr! Nicht mehr zum Kurvenhetzen auf Landstraßen, nicht mehr zum Beton blasen auf der Bahn und auch nicht mehr zum rumsuhlen im Gelände, also Moped verkauft, aus, vorbei, Schluss! Und hat nicht mal wehgetan.
Sechs Jahre Pause und dann das: 1530 ccm, sechs Zylinder, 150 Nm Drehmoment… und wenn dieser Motor noch zwei Räder hat, dann ist es das doch! Und damit begann mein zweites Motorradleben. Nach über fünf Monaten intensiven Suchens habe ich meine Wing im Winter 98/99 bei einem Händler in NRW gefunden: GL 1500 SE, Bj. 97, 7.600 km auf der Uhr, Royal-Purl- Magenta, nicht mehr so ganz nackt, aber noch aufbaufähig. Die 300 km nach Hause waren viel zu kurz und in der Garage beschlich mich der Gedanke, dass ich in meinem ersten Motorradleben doch ‘ne ganze Menge versäumt hatte.

 

Anfang März ‘99: Die Sonne schien und der erste Ausritt war fällig. Im tiefsten Ostfriesland war ein kurzer (so dachte ich) Tankstopp notwendig. Und gleich danach sollte es weitergehen. Druck aufs Knöppchen: Nichts – nee, gar nichts, nicht mal die Kontrolllampen blinzelten. Hatte ich wohl einen der diversen Schalter nicht beachtet. Kurze Rede, langes Suchen, is nich. Batterie leer/kaputt. Anschieben lassen, ohne Licht und so nach Hause. Neue Batterie eingebaut und Druck aufs Knöppchen: Na also, geht doch!
Honda GL 1500 SE Und so ging es die nächsten 9.000 km weiter (Öl- und Kerzenwechsel plus neuen KN-Luftfilter waren bei 17.000 km fällig). Danach Druck aufs Knöppchen… keine besonderen Vorkommnisse, nichts Erwähnenswertes. Doch, halt, stopp, die Ausritte waren ganz anders als in meinem ersten Motorradleben. Nun fuhr ich, wenn ich die Wing aus der Garage holte, von morgens bis abends, der Tank war mindestens einmal geleert (ca. 270 km) und die Ziele waren ganz andere. Eben mal so Sonntag morgens zum Köterberg, ‘ne schnelle Stippvisite in den Harz, der Solling liegt ja auch vor der Tür, das Weserbergland ist ja eigentlich ein direkter Nachbar…
Ende Juli sind 22.000 km voll und die Reifen am Ende. Im November standen 27.000 km auf der Uhr, Öl- und Kerzenwechsel waren dran und …Druck aufs Knöppchen, ein Kontrollblick aufs übersichtlich gestaltete Armaturenbrett, alle Zeiger und Lämpchen signalisierten grünes Licht… und weiter ging’s.
Im Sommer hatte ich der Wing u. a. die Schweitzer Alpen, die italienische Riviera, den Gardasee und im Oktober die Dolomiten gezeigt. In den Dolos ist einer Glühbirne schlecht geworden, sonst war bis auf den eingangs erwähnten Batteriewechsel nichts was repariert werden musste.
Ende Februar ‘00 waren wir bei 29.000 km, das Fahrwerk kam mir immer schwammiger vor und der Schrauber bestätigte: „Neue Gabelbuchsen und Simmerringe müssen her, nimm auch noch ein härteres Öl dazu, es darf auch ein klein wenig mehr (unbedingt empfehlenswert) als vorgeschrieben sein, und die Kiste müsste wieder laufen.” Tat sie dann auch. Ein stark verbessertes Fahrgefühl spornt mich an. Der Aufwand hatte sich gelohnt!
Im August fing die Fuhre auf dem Weg zum Gardasee zunehmend an zu schlingern. Schleichender Plattfuß hinten, ein neuer Reifen musste her. Wo wir das Hinterrad gerade raushatten bekam die Bremse hinten schon mal vorsorglich neue Beläge. Wir waren mittlerweile bei 37.000 km.
Cockpit Anfang September ‘00: Schreck, das Licht war weg. Neue Scheinwerferbirnen, das war’s dann auch schon mit den Reparaturen in 2000. Höhepunkt der Gurkerei war in dem Jahr der Herbsturlaub an der Cote D’Azur.
Im Mai 2001 waren die vorderen Bremsbeläge bei 45.000 km fällig, die Bremsflüssigkeit wurde gleich mit ausgetauscht. Das Fahrwerk genügte immer weniger meinen Ansprüchen und wurde optimiert: Härtere Federn, Gabelstabilisator, noch härteres Öl, ein bisschen mehr davon… und Hurra! Das Ding fuhr sich nun wesentlich besser. Schnellere Kurven und Lastwechsel nahm die Wing nicht mehr ganz so krumm, der Geradeauslauf war nicht mehr wiederzuerkennen. Mein 400 kg Hammer ließ sich ganz ordentlich bewegen.
Im Juni kam ich aus Nordfrankreich zurück und… au weia, alle Armaturen fingen an zu spinnen, die Kontrolllampen blinkten, die Tachouhr drehte völlig durch… und ein paar Kilometer später drehte sich gar nichts mehr. Natürlich regnete es eimerweise, der Wind stürmte und der ADAC brauchte fast eine Stunde, bis er bei mir war. Diagnose: „Wahrscheinlich ist es die Lichtmaschine.” Seine Ersatzbatterie auf meinen Soziusplatz, meine Zeltausrüstung auf seinen Soziusplatz und mit der frischen Batterie nach Hause.
Drei Tage später war die neue Lima drin, und die Uhr zeigte 48.500 km. Das war sie nun, meine erste richtige Panne nach über 40 000 km. Die Lima war nach Aussage eines kompetenten Lima-Experten total zerschossen, da ging nichts mehr. Habe ich es mit den vielen Lämpchen, den Strobos, den LEDs übertrieben? Konnte die Lima die ziemlich neue Neonbeleuchtung nicht leiden?
Im Verlauf des Sommers besuchten wir ein Treffen in Snojmo/Tschechien. Mir flog alle naselang die gleiche Sicherung raus. Der hilfreiche Chef der belgischen Winger wusste sofort die Ursache: Schalter an der Fußbremse defekt, Kurzschluss. Also ersetzt und Druck aufs Knöppchen und… weiter ging’s.
Absolutes Highlight des Jahres: der Herbsturlaub auf Mallorca. Mann, Mann, Mann, war das ein schweinegeiles Erlebnis. Mit der Wing auf Mallorca, Superwetter, wunderschöne Straßen und total lichtverrückte Spanier, aber das ist wieder ein anderes Thema.
Mitte Dezember bekam das Vorderrad noch zur Belohnung bei 58.000 km eine neue Pelle und ich freute mich auf ein neues Fahrjahr 2002.
Bernis Wing Die erste Hälfte des Jahres brachte nur wunderschöne Touren, keine Defekte oder Probleme. Im Juli war dann wieder bei 68.000 km ein neuer Hinterreifen fällig. Die Bremsbeläge immer noch gut, Also Druck aufs Knöppchen und… weiter ging’s.
Anfang September stand ein einwöchiger Trip nach Kärnten mit Abstecher nach Slowenien an. Anlass war die Mega-Harley-Party. Die Höhepunkte waren allerdings die Fahrten durchs Kärntner-Kurven-Kehren-Paradies.
Der Herbsturlaub im späten Oktober sollte wieder an die Cote D’Azur gehen, diesmal aber mit Sozia. Da ich der Batterie nicht unbedingt mehr so recht traute, wechselte ich sie vorsorglich aus. Denn eines wollte ich auf gar keinen Fall: Im Hinterland der Provence aufs Knöppchen drücken und… Krächs, Würg, Schluss… Nee, sicher ist sicher und Ärger im Urlaub vertrag ich eh nicht.
Für diese Reise hatte ich mir die Route Napoleon, die Seealpen und die schönen Schluchten (de Loupe und den Canyon de Verdun….) so richtig ausgiebig vorgenommen. Und das war auch das absolute Highlight 2002.
Wieder zu Hause mussten die mittlerweile arg strapazierten beiden Gaszüge erneuert werden, der Luftfilter bekam mal wieder eine Beatmung, weil’s gerade so gut passte, eine Scheinwerferbirne war kaputt und wurde genau wie der Nachbar ersetzt, die Vergaser kriegten mal ‘ne Runde Vergaserfrei spendiert, damit sie wieder so richtig durchschnüffeln konnten und beide Zahnriemen wurden vorsorglich erneuert. Mittlerweile zeigt der Tacho nämlich runde 75.000 km an. Honda meint, dass die Riemchen bei 100.000 km fällig sind, in der GW-Szene munkelt man, dass man bei 80.000 km auf der sicheren Seite ist.

Jetzt wird es Zeit für ein kurzes Resümee, also Butter bei die Fische:

Das mag ich:
• Den genialen Motor: laufruhig, seidenweich, durchzugsstark… genial eben.
• Hydraulische Kupplung: leichtgängig, gut dosierbar, trennt sauber. Gleiche Eigenschaften gelten für das Getriebe.
• Optimale Tourentauglichkeit mit überragendem Sitzkomfort für Fahrer und Beifahrer, Stauraum ohne Ende
• Komplette und hochwertige Ausstattung mit integrierter Audioanlage mit Radio/Kassette, Gegensprechanlage, CB-Funkgerät, Tempomat, Rückwärtsgang, Heizung, bordeigener Kompressor, verstellbare Trittbretter für den Sozius, höhenverstellbare Scheibe, super Wetterschutz durch die Verkleidung und so weiter.
• Zuverlässigkeit, solide Verarbeitung und zur Zeit noch hoher Wiederverkaufswert.

Das wünsch ich mir:
• Ein strafferes Fahrwerk
• Bessere Bremsen
• Preiswertere Ersatzteile
• Mehr Wartungsfreundlichkeit

Die ganz nackten Fakten:
• Ich habe die besten Erfahrungen mit halbsynthetischem Viertaktöl (SAE 10W-40) gemacht. Bekommt dem kalten und dem warmen Motor besser, das Getriebe lässt sich exakter und fast geräuschlos schalten (Öl-wechsel alle 10. 000 km, kein messbarer Verbrauch).
• Die Standardkerzen NGK DPR 8 zeigten beim Wechsel nach jeweils 15.000 km das beste Bild.
• Den originalen Luftfilter habe ich durch einen KN Filter ersetzt. Wartungsarm, langlebig und atmungsaktiv, leider sehr teuer.
• Bei den Reifen bin ich bei Dunlop Elite II mit Gasfüllung (keine Spinnerei, bringt merkbar höheren Abrollkomfort) gelandet. Bei mir erzielte ich mit Elite II die höchsten Laufleistungen. Reifendruck solo (abweichend vom Handbuch): Vorne 2,6 bar, Hinten 2,9 bar, Kompressor 4,9 bar.
• Verbrauch: Standgasfahren in der Gruppe ca. 6,5 ltr., Landstraßen solo 8,5 ltr.; Autobahn je nach Gusto zwischen 8,5 und 12,5 ltr. Normalbenzin.

Nach nunmehr über 70.000 km in den letzten gut drei Jahren ist die Wing immer noch für mich mein Supergeilerluxusreisedampfer, der mir in meinem zweiten Moppedleben ganz neue Perspektiven wie Lichterfahrt auf dem Hockenheimring, Eröffnung des Lausitzringes vor 100.000 begeisterten Zuschauern, Lichterfahrt durch das nächtliche Prag (mehrere Hundert Goldwings parken den Wenzelsplatz zu…), Traumurlaube in Südeuropa usw. eröffnet hat. Und somit ist die Frage nach einem anderen Modell (z. B. nach einer neuen 18er, oder einer FJR, PAN, BMW RT oder GT…, die sicherlich vieles besser können) für mich auch schon beantwortet: Ich mag unverwechselbare Barockschlösser!
In diesem Sinne: Druck aufs Knöppchen und allen allseits Gute Fahrt.