aus bma 03/00
von Klaus Herder
So, jetzt vergessen Sie bitte mal alles, was Sie so über Motorroller zu wissen glauben. Die Sache mit dem kriminellen Fahrverhalten zum Beispiel. Oder die Geschichte mit dem miesen Platzangebot. Schlappe Fahrleistungen? Grauenhafte Bremsen? Vergessen Sie
es. Das mit den günstigen Preisen so um 6000 Mark sollten Sie sich aber leider auch ganz schnell abschminken. Es geht hier nämlich nicht um irgendein Kinderspielzeug mit 125 Kubik, sondern um die „waffenscheinpflichtige” Art der zweirädrigen Motorisierung. Es geht um den Suzuki AN 400 Burgman. Für den brauchen Sie nämlich den Motorradführerschein. Erst einmal benötigen Sie aber 11.540 Mark. Zum Vergleich: Eine Suzuki SV 650 gibt’s für nur 50 Mark mehr, eine GS 500 E ist bereits für 3750 Mark weniger zu bekommen.
Doch am besten vergessen Sie auch solche Preisvergleiche, denn für den typischen Burgman-Kunden sind weder kleinere Roller noch größere Motorräder überlegenswerte Alternati- ven. Das Konzept des 33 PS starken Hubraum-Riesen ist bislang einmalig. Bessere Fahrleistungen und mehr Tourentauglichkeit bietet kein anderer Scooter.
Das Terrain für den 400er-Burgman bereitete ab 1998 der Vorgänger und kleinere Bruder AN 250 Burgman. Dessen flüssigkeitsgekühlter Viertakt-Einzylindermotor leistete auch schon 23 PS und beschleunigte den Roller auf knapp 130 km/h. Doch mit dem Viertelliter Hubraum stand Suzuki nicht alleine da. Piaggio, Honda und Yamaha rollerten ebenfalls mit 250ern erfolgreich auf den Markt, und sogar Anbieter wie Aprilia und Malaguti präsentierten potente 250er.
Die Burgman-Basis taugte aber für mehr: Mehr Hub (71,2 mm), mehr Bohrung (83 mm) – macht unterm Strich 385 ccm und zehn PS Mehrleistung. Der Motor basiert zwar auf dem 250er, erforderte aber trotzdem eine komplette Neukonstruktion. Der Vierventil-Single ist aber weiterhin flüssigkeitsgekühlt, und auch beim 400er sorgt eine Ausgleichswelle für kultivierten Motorlauf. Der 300-Millimeter-Keihin-Vergaser wich einem Exemplar mit 36 Millimetern Durchlass.
Das Fahrwerk konnte nahezu unverändert übernommen werden. Der Stahlrohrrahmen und die mit 100 mm Federweg arbeitende Telegabel muss-ten sich zwar moderate Verstärkungen gefallen lassen, am ellenlangen Radstand (1590 mm) und den übrigen Abmessungen änderte sich praktisch nichts. Die Suzuki-Techniker spendierten dem großen Burgman aber eine stärkere Lichtmaschine (325 statt 300 W) und auch die Batterie legte etwas zu (12 V/8 Ah statt 12 V/6 Ah). Die vielen kleinen Änderungen sorgten dafür, dass der große Burgman etwas schwerer wurde. 194 Kilogramm wiegt der mit 13 Litern Normalbenzin vollgetankte 400er – das sind 15 Kilo mehr als beim 250er.
Von den knapp vier Zentnern Leergewicht ist in der Praxis nur wenig zu spüren. Das Auf- und Abbocken klappt dank des goldrichtig übersetzten Hauptständers spielend leicht. Ängstliche Naturen können natürlich auch nach der serienmäßigen Seitenstütze füßeln. Die Sitzbank hat zwar die üppigen Abmessungen einer handelsüblichen Polstergarnitur, überfordert mit 70 Zentimetern Sitzhöhe aber auch extrem kurzbeinige Piloten nicht. Den Ampelstopp und das Rangieren erleichtern zudem Ausbuchtungen im Trittbrett – zu breitbeinig muss niemand auf dem Burgman sitzen oder stehen. Für den Sozius gibt’s sogar eine serienmäßige Rückenstütze. Das ist schön. Weniger schön ist, dass bereits Schuhgröße 39 den winzigen Sozius-Fußraum hoffnungslos überfordert. Zum Trost sind aber als Zubehörteile breitere Auflagen lieferbar. Der Fahrer kann sich aussuchen, ob er seine Treter choppergemäß vorn und oben oder tourergerecht mittig und unten platzieren möchte – das gummierte Trittbrett lässt beides zu.
Gestartet wird natürlich elektrisch – vorausgesetzt, man hat als Burgman-Neuling die Zündschloss-Abdeckung überwunden. Ein massiver Metallschieber verwehrt dem Unkundigen sonst nämlich dauerhaft und äußerst erfolgreich den Zugriff. Von allein kommt niemand auf den Öffnungs-Trick. Wissende setzen den am Schlüsselkopf angebrachten Magneten in die passende Öffnung der Abdeckung und drücken gleichzeitig auf das Oberteil des Schiebers. Alles klar? Wenn man’s weiß, ist es ganz einfach.
Dank Startautomatik springt der Viertakter völlig problemlos an. Zu sehr sollte im Stand nicht am Gas gespielt werden, denn die gut abgestimmte Variomatik spricht sofort an. Stufenlos und äußerst flott schiebt die Automatik den Burgman vorwärts. Mittelklasse-Autos haben bis 100 km/h kaum eine Chance. Wer es darauf anlegt, erreicht aus dem Stand bereits nach zehn Sekunden das Landstraßenlimit.
Zu Kavalierstarts lässt sich der Burgman-Treiber aber trotzdem nur selten hinreißen. Der hohe Lenker, die kuschelige Sitzgelegenheit und das beruhigend dezente und trotzdem kernige Grummeln des Motors verleiten gar nicht erst zur Raserei. Schleichen wird man mit dem 400er allerdings auch nicht, dafür macht das elegante Kurvenschwingen viel zu sehr Spaß. Der Umgang mit dem AN 400 ist am besten mit dem Begriff „lässig” zu umschreiben. Der Über-Roller strahlt eine Coolness aus, die man sonst nur von einer Gold Wing kennt. Der Burgman rollt auf für Rollerverhältnisse üppigen Sohlen (vorn 110/90-13, hinten 130/70-13). Die großen Räder, der lange Radstand und nicht zuletzt die gegenüber dem 250er etwas straffere Abstimmung der Federelemente sorgen dafür, dass der 400er ungemein stabil unterwegs ist. Unbeirrt und ohne die leichteste Neigung zum Pendeln geht’s geradeaus, zielgenau lassen sich Biegungen aller Art umrunden.
Von der spielerischen Handlichkeit eines 50er-Rollers ist der Burgman natürlich weit entfernt, mit der Agilität ordentlich abgestimmter 500er-Motorräder lässt sich der 400er aber durchaus vergleichen. Was fehlt, ist etwas mehr Schräglagenfreiheit. Wer mit Sozius und/oder großem Gepäck unterwegs ist, bringt den Hauptständer in flott gefahrenen Kurven sehr schnell zum Aufsetzen. Die Federvorspannung des hinteren Federbeins kann über ein Handrad bequem von außen eingestellt werden. Beim 250er musste der Pilot dafür noch unters Gerät kriechen.
Wer dem 400er die Sporen gibt, erreicht unter normalen Bedingungen locker etwas über 140 km/h. Als Dauertempo sind 130 km/h goldrichtig. Der Verbrauch liegt dann zwischen fünf und sechs Litern, beim gemütlichern Landstraßenbummeln begnügt sich der 400er auch mal mit drei Litern auf 100 Kilometer. Fahrer mit einer Körperlänge bis 1,80 Meter sitzen hinter der Verkleidungsscheibe einigermaßen zugfrei. Längere Zeitgenossen müssen sich spürbar mehr Wind um die Nase wehen lassen. Das wäre nicht weiter dramatisch, wenn die Windgeräusche nicht unverhältnismäßig stark ansteigen würden. Ohrstöpsel gehören daher unbedingt zur Ausstattung gesundheitsbewuss-ter Burgman-Fahrer. Ansonsten kommt hinter der Scheibe aber fast nur Freude auf.
Das Cockpit ist mit Zeituhr, Tankuhr, zwei Tageskilometerzählern und Kühlmittel-Thermometer komplett ausgestattet. In den Rückspiegeln lässt sich tatsächlich der rückwärtige Verkehr und nicht nur der eigene Jackenärmel beobachten. Hebel und Schalter sind auf gutem Motorrad-Niveau, und zwei Staufächer, eins davon abschließbar, nutzen den Platz im Frontschild gut aus. Der eigentliche Kofferraum steckt unter der einteiligen Sitzbank. Deren Öffnungswinkel könnte zwar etwas größer ausfallen, dafür langt das Platzangebot allemal. Zum Tanken muss das Sitzmöbel nicht geschwenkt werden, der Einfüllstutzen steckt unter einer ab-schließbaren Klappe im Mitteltunnel.
In Sachen Ausstattung geizte Suzuki eigentlich nur beim Scheinwerfer: Abblend- und Fernlicht erreichen höchstens Mittelmaß. Ähnliches gilt für die Qualität sämtlicher Schlösser. Die Dinger haken ab und an und sind eher schwergängig.
Um so gelungener geriet dafür die Bremsanlage: Der Burgman ist mit einem Verbund-Bremssystem ausgestattet. Das bedeutet, dass mit dem linken Handhebel nicht nur die hintere Scheibenbremse, sondern auch zwei Kolben des vorderen Bremssattels aktiviert werden. Der rechte Handhebel sorgt dafür, dass die verbleibenden beiden Kolben die 260-Millimeter-Scheibe im Vorderrad in die Zange nehmen. Die Stopper lassen sich perfekt dosieren, und dank der Kombination von Vorder- und Hinterradbremse kommen auch Ungeübte sicher zum Stehen. Die Gefahr des Überbremsens ist zudem geringer als bei einer konventionellen Aufteilung des Bremssystems. Um das Bremsen-Glück komplett zu machen, spendierte Suzuki dem Burgman auch noch eine Feststellbremse. Der entsprechende Hebel ist links neben dem Zündschloss zu finden.
Der Suzuki AN 400 Burgman hat mit klassischen Rollern so viel gemein wie ein aktueller VW Golf mit einem VW Käfer: nämlich sehr wenig. Der Kaufpreis ist heftig, doch der mögliche Nutzen steht in einem gesunden Verhältnis dazu. Ein 400er-Burgman wird nicht als Gelegenheits-und-Einkaufs-Roller irgendwo in der Garage verstauben, sondern als vollwertiger Tourer vermutlich mehr Kilometer auf den Buckel bekommen, als die Mehrzahl der Motorräder. Der Genussfaktur ist bei diesem Sofaroller extrem hoch. Eine Probefahrt kann aus vermeintlichen Rollerhassern durchaus überzeugte Rollerfahrer machen.
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Kommentare
2 Kommentare zu “Suzuki AN 400 Burgman (Mod. 2000)”
schön und lustig beschrieben, ich fahre jetzt nur noch den Kleinen 250ziger nachdem ich wegen dem Gewicht den Burgman 650er schweren Herzens verkaufen musste. fahre seid 1998 Burgman, 250er/650er/650er mit ABS und jetzt wieder den 250 ccm , weil ich nie mit einem Burgman Probleme hatte! Wünsche allen weiterhin viel Spaß beim Hobby !!! Gruß Manni
ich habe mir nach positiver Erfshrung mit drm Honda FJS 600 rinen AN 400 zugelegt. der ist schon über 20 Jahre alt, hat wenig gelaufen und läuft noch richtig ordentlich. Dafür weichen muss eine Deauville 600, welche mir zu schwer geworden ist. ich hoffe mit der Suzuki genau so gute Erfahrungen zu machen, wie ich es mit meinen Hondas gemacht habe, es gab nie Probleme. wenn man regelmässig wartet, sind diese Roller/ Motorräder problemlos.
allen wünsche ich allzeit gute Fahrt in 2024.
gruss key_andread