aus bma 02/04
von Klaus Herder
Mein Rohr war unglaublich lang, aber davon wirklich beeindruckt waren nur Insider. Die Mehrzahl der Betrachter war bestenfalls belustigt. 24 Jahre ist das her, und das Motorrad zum Rohr hieß MZ TS 250/1. Der laufende Meter des leider nur mäßig gut verchromten Stahlblechs hatte recht praktische Gründe, denn die sächsischen Zweitakt-Profis legten während der Entwicklung der Zonenfeile sehr viel Wert auf bestmögliche Strömungs- und Druckverhältnisse bei der Abgasführung. Wohl wissend, dass ein ordentlich berechneter (und deshalb so langer) Resonanzauspuff die zweitakttypischen Spülungsverluste gewaltig reduziert, mussten die DDR-Techniker keinerlei Rücksicht auf irgendwelche Designerwünsche nehmen – ein typischer Fall von „form follows function”.
Ein knappes Vierteljahrhundert später stehe ich vor dem zur Zeit besten Beispiel für „Form? Phallus! Funktion?!” und bin schwer beeindruckt. Gewaltige 61 Zentimeter lang ist es und misst im Durchmesser satte 16,5 Zentimeter. Das Megarohr ist der Edelstahl-Schalldämpfer der Yamaha Road Star Warrior („Straßenstern-Krieger”?). Natürlich unterliegt auch die Gestaltung eines fernöstlichen Viertakter-Auspuffs gewissen technischen Vorgaben, aber es kann bei der Formgebung des Krieger-Rohrs nicht primär ums Abgas- und Geräuschverhalten gegangen sein. Ganz im Gegenteil, schließlich ist die Auspuffanlage des „Power-Cruisers” (O-Ton Yamaha) noch nicht einmal mit einem Katalysator bestückt. Für korrekte Abgaswerte sorgt lediglich ein Sekundärluftsystem. Den Yamaha-Weißkitteln ging’s auch und gerade bei der Rohr-Gestaltung natürlich um den beeindruckenden Macho-Auftritt. Der ist voll gelungen, denn in Sachen Show-Wert steht die ab 2002 nur in den USA angebotene und seit 2003 auch in Deutschland erhältliche Yamaha der Harley V-Rod kaum nach. Und die ist schließlich Hinguck-Referenz in der Klasse „Serienmäßige Flachmänner über 15.000 Euro”.
Das Herz der Warrior kennen wir bereits. Zumindest so grob, denn als Organspenderin fungierte die XV 1600 A Wild Star, ein eher gemütlicher und nicht gerade übermotorisierter Barock-Cruiser, bei dem man zu Recht fragen kann, was der Begriff „Wild” in der Typenbezeichnung verloren hat. Der 48-Grad-V-Twin ging vor seinem Warrior-Einsatz aber ins Yamaha-Trainingslager und bekam dort das klassische Doping-Programm verpasst: Zwei Millimeter mehr Bohrung (97 mm) machten aus ursprünglich 1602 nunmehr 1670 ccm. Der Kolben-Arbeitsweg beträgt unverändert üppige 113 mm. An die Vierventil-Zylinderköpfe wurde kräftig Tuner-Hand gelegt, damit die Frisch- und Abgase flotter strömen und der Motor dadurch höher drehen kann. Neue Kipphebel und schärfere Nockenwellen gab’s bei der Gelegenheit gleich dazu. Wo sich bei der Wild Star ein einsamer 40er-Mikuni-Vergaser ums Normalbenzin kümmert, ist bei der Warrior eine elektronisch gesteuerte und von einem Drosselklappensensor mit Infos versorgte Einspritzanlage aktiv. Am nicht ganz so topmodernen grundsätzlichen Aufbau – also Luftkühlung, zwei untenliegenden Nockenwellen, die über Stoßstangen, Kipphebel und Hydrostößel den Ventiltrieb besorgen – änderten die Yamaha-Techniker nichts. Aber auch so reichte es, um den Twin von bescheidenen 63 PS auf immer noch kerngesunde 84 PS bei 4400 U/min aufzublasen. Bei gerade mal 3500 Touren stemmt der Warrior-Motor sein maximales Drehmoment von 141 Nm auf die rund 22 Kilogramm schwere Kurbelwelle – und ist damit der kräftigste luftgekühlten V-Motor, den Yamaha jemals im Programm hatte. Da Drehmoment bekanntlich durch nichts zu ersetzten ist, gibt’s hier und jetzt einen weiteren Wert, der den Freunden des gepflegten Durchzugs Tränen der Rührung in die Augen treiben dürfte: Bereits ab 2000 Touren liegen bei der Warrior immer mehr als 130 (in Worten: EINHUNDERTDREISSIG!) Newtonmeter an. Die bereits erwähnte Harley V-Rod schafft übrigens maximal 105 Nm. Fairerweise sei aber verraten, dass sie dafür aus nur 1130 ccm flotte 117 PS holt.
Zurück zu den 84 Pferdestärken der Yamaha. Die haben es bei der Warrior mit einem Kampfgewicht von vollgetankt 297 Kilogramm zu tun. Schwester Wild Star wiegt satte 38 Kilo mehr. Da fragt der Cruiser-Fan doch sofort nach dem Diät-Geheimnis. Des Rätsels Lösung lautet „Leichtmetall”. Alu-Doppelschleifenrahmen, Alu-Schwinge, Alu-Räder – das macht den Unterschied. Allein die Aluguss-Räder der Warrior wiegen 11,5 Kilogramm weniger als die Drahtspeichenräder der Wild Star. Das Warrior-Vorderrad wird von einer Upside-down-Gabel geführt. Die tut in ähnlicher Form auch in der Yamaha YZF-R1 Dienst. Aus der ersten Auflage des Yamaha-Supersportlers stammen übrigens auch die beiden Vierkolbensättel der Doppelscheiben-Vorderradbremse. Gabel und Bremse wurden für den Warrior-Einsatz allerdings komplett anders abgestimmt. Die Hinterradfederung erledigt ein Zentralfederbein, das unter dem Motor liegend verbaut wurde.
Der Warrior-Arbeitsplatz verlangt vom Fahrer eine gewisse Leidensfähigkeit, das Soziusbrötchen dürfte selbst hochgradig masochistisch veranlagten Mitfahrern eine Spur zu heftig sein. Der ultrabreite Lenker ist ziemlich hoch und ziemlich weit vorn montiert. Das auf der rechten Seite verbaute Luftfiltergehäuse und der linksseitig angebrachte Ansaugschnorchel sind gewaltige Beinspreizer. Alles zusammen führt zu einer nach vorn gebeugten und leicht angespannten Sitzposition, die in etwa der Haltung eines landenden Albatros entspricht. Wer jemals Disneys „Bernhard und Bianca” gesehen hat, weiß, wovon ich schreibe. Doch es geht ja schließlich nicht darum, auf der Warrior stundenlang bequem untergebracht zu sein. Was einzig und allein zählt, ist der Posing-Faktor. Und der ist erstklassig.
Böser Helm, böser Blick, Arme auseinander, Schultern nach vorn – und dann beim Ampelsprint gnadenlos vollstrecken. Auf kaum einer Maschine funktioniert das cooler als auf der extrem bassig und kernig grummelnden Warrior. Die überraschend leicht zu betätigende Kupplung und das mit etwas Nachdruck recht sauber zu schaltende Fünfganggetriebe sorgen zusammen mit dem bärigen Kraft-aus-dem-Keller-Motor für einen standesgemäßen Auftritt. Der lockere Innerorts-Sprint, also die 0-auf-100-Übung, wird in etwas über vier Sekunden erledigt. Die Zahl der natürlichen Fressfeinde hält sich damit – zumindest in Cruiser-Kreisen – in engen Grenzen.
Wer die Warrior außerorts ausreizt, treibt die Nadel des schlecht abzulesenden Analog-Tachos auf knapp Tempo 200, was echten 185 km/h entspricht. Topspeed macht mit der Warrior aus verständlichen (Windschutz) und unverständlichen (200er-Hinterradreifen) Gründen nur sehr bedingt Spaß. Der überfette 17-Zöller lässt sich von jeder Längsrille und von jeder Fuge aus der Fassung bringen und sorgt für völlig unnötige Unruhe im ansonsten superstabilen Fahrwerk. Das 120/70 ZR 18-Gummi des Vorderrads erledigt seinen Job in der gut abgestimmten Gabel um Welten besser.
Wer mit der Warrior auf der Bahn längere Zeit Spaß haben möchte, bummelt mit Autobahn-Richtgeschwindigkeit über Land. Bei 130 km/h zeigt der (übrigens auch schlecht abzulesende) Digital-Drehzahlmesser gerade mal 3000 U/min an, was bestens zum Cruiser-Charakter passt. Bei einer solchen Gangart gönnt sich der Twin auf 100 Kilometern gerade mal 5,7 Liter aus dem 15-Liter-Tank. Den Unterschied zwischen einem Cruiser und einem Power-Cruiser erfährt dann derjenige, der bei diesem Tempo mit dem Gas spielt: Jawoll, gepriesen seien Hubraum und Drehmoment! Bis es vibrationsmäßig eher ungemütlich wird – also oberhalb von 4000 U/min – bleibt noch viel Raum, um mit der Warrior jede Menge Power-Cruiser-Spaß zu haben. Das flotte Drehmomentsurfen macht mit der erstaunlich handlichen Yamaha auch auf kurvigen Landstraßen Laune, denn die Schräglagenfreiheit und die Abstimmung der Federelemente haben gottlob gar nichts von der klassenüblichen Cruiser-Gemächlichkeit. Mit der Warrior lässt sich wunderbar angasen – vorausgesetzt, der Fahrbahnbelag bleibt potteben, denn ansonsten stört mal wieder der doofe 200/50 ZR 17-Hinterradreifen den sauberen Strich.
Die Vorderradbremse arbeitet nicht ganz so bissig wie erhofft. Der Stopper verzögert zwar sicher, wirkt aber etwas stumpf und verlangt relativ viel Handkraft. Die Hinterradbremse ist dafür wunderbar ausgleichend und gibt eine tadellose Vorstellung.
Die 15.495 Euro teure Yamaha Road Star Warrior ist keine Maschine für den Motorradurlaub, selbst eine ausgedehnte Tagestour ist mit ihr ziemlich anstrengend. Ihre Welt ist der lustvolle Sonntagvormittags-Quickie, so ein bis zwei Stunden Spaß, um sie anschließend wieder in die Garage zu schieben und dann vielleicht die gleiche Zeit an ihr herumzupuzzeln. Das macht bei der Warrior nämlich auch richtig viel Spaß, denn sie ist sehr sauber und wertig verarbeitet. Was bei ihr nach solidem Stahlblech aussieht, ist es meistens auch – zum Beispiel die formschönen Schutzbleche. Kettenfett-Sauerei oder Kardan-Lastwechsel gibt es bei ihr nicht, der feine Zahnriemenantrieb macht’s möglich. Was ihr fettes Rohr im Stand verspricht, kann Yamahas Power-Cruiser sound- und fahrtechnisch durchaus erfüllen. Form, Phallus, Funktion – die Warrior-Macher haben’s kapiert.
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