aus bma 01/04

von Jens Riedel

Aufsteigen, anlassen, abfahren. Mal ehrlich, im Prinzip begehrt das Bikerherz vom Grundsatz her nicht mehr. Sicher, der eine will noch ins Gelände; der andere wünscht sich, mit Tempo 230 über die Autobahn zu kacheln. Die Flut von Rollern beschränkt sich auf die reine Lust an der Mobilität. Und die stillt der Yamaha VP 300 Versity nicht nur, sondern erfüllt sie deutlich besser als viele andere seiner meist windschnittiger gezeichneten Kollegen.
An 250er und 500er Roller haben wir uns längst gewöhnt. Auch die 600 Kubik des Honda Silver Wing findet niemand mehr ungewöhnlich. Umso mehr sorgt der jüngste Scooter-Streich von Yamaha für Irritation. Nicht nur das gegenüber der Konkurrenz doch ziemlich grob anmutende Design des Versity 300 fällt aus dem Rahmen, sondern auch der Hubraum. 264 Kubikzentimeter, das klingt irgendwie so, als ob sich die Ingenieure nicht so recht entscheiden konnten. Wir machten mit freundlicher Unterstützung von Italmoto in Garbsen die Probe aufs Exempel.
Der Versity rangiert irgendwo zwischen Majesty 250 und T-Max 500, ist aber keinesfalls ein Lückenbüßer, sondern kommt mit eigenständigem Charakter angeroll(er)t. Die 2,03 Meter lange Fuhre macht gar nicht erst den Versuch, von vorne als Motorrad durchzugehen, wie es bei vielen Maxi-Scootern Mode geworden ist. Der 300er trägt seinen wuchtig wirkenden Bug stolz vor sich her und macht fast den Eindruck als wolle er das Gelsenkirchener Barock wieder zum Leben erwecken. Die Rückleuchten im Heck mit den integrierten Blinkern greifen Form und Anordnung der beiden weit auseinanderliegenden Frontscheinwerfer wieder auf. Das alles wirkt schon ein wenig wie ein auf 97 Zentimeter Breite zusammengestauchtes Cabriolet. Richtung Einspurauto zielt auch der üppige Sitz. Er ist Garant für langes, entspanntes Dahingleiten und vermittelt ein sicheres Gefühl. Im Verkehrsgewühl behält der Versity-Pilot stets die Übersicht. Der kommode Fahrersessel ist allerdings dermaßen breit geraten, dass es Normalwüchsigen nicht vergönnt ist, bei 775 Millimetern Sitzhöhe mit beiden Füßen gleichzeitig mehr als die Zehenspitzen auf den Boden zu bekommen. Man muss schon ein wenig nach vorne auf den schmaleren Teil des Polsters rücken, um sicher zu stehen.

 

Doch genug gestanden. Die Leichtigkeit, mit dem der Roller seine Besatzung auf Touren bringt, überrascht angesichts des doch etwas klobig anmutenden Äußeren. Das Triebwerk stammt vom Majesty 250 und wurde für den Neuzugang leicht aufgebohrt. Dies mag auch erklären, warum die Hubraumzahl so ungewöhnlich ausfällt. Der wassergekühlte Motor gibt sich akustisch zurückhaltend und lässt sich nur beim Beschleunigen unter Vollgas ein kerniges Tönchen entlocken, überzeugt aber durch Drehfreude. Die stufenlose Automatik verrichtet ihren Dienst unauffällig. Bis 110 km/h zieht der Versity auf seinen 14-Zoll-Sohlen mit gleichmäßigem Schub von dannen. Auf der Landstraße lässt sich dabei im wichtigen Bereich zwischen 80 und 100 km/h noch relativ relaxt überholen. Erst ab 120 km/h geht dem Versity 300 spürbar die Puste aus. Mit etwas Glück lässt sich die Maschine auf der Autobahn aber dennoch bis zu 140 auf dem Tacho treiben. An Leistung und Laufruhe des 21 PS starken Einzylinder-Triebwerks gibt es demnach nichts zu mäkeln.
Der trocken 164 Kilo schwere Versity bleibt auch bei hohem Tempo extrem spurstabil. Mit 120 Millimetern vorn und 150 Millimetern Breite hinten garantieren die Michelin-Reifen satte Haftung. Selbst eingefleischte Biker dürften an den Schräglage-Fähigkeiten des VP 300 nicht allzu viel auszusetzen haben. Die Fahrwerksgeometrie ist tadellos. Ohne Probleme kann man getrost auch im Stau Schritttempo fahren, ohne dass man viel hin und her balancieren muss. Ein echtes Plus im Asphaltdickicht der Städte. Und auch bei Vollbremsung lässt sich der Yamaha-Scooter nicht aus dem Gleichgewicht bringen und bleibt stoisch in der Spur. Überhaupt überlässt der Versity die Negativbeschleunigung nicht dem Zufall, sondern Bremsenspezi Brembo. Vorne gibt es eine 270-Millimeter-Scheibe, hinten misst sie 30 Millimeter weniger. Das sind echte Motorradmaße. Und so reagiert der VP 300 dann auch. Vor allem die mit links zu ziehenden hinteren Klötze greifen kraftvoll zu. Wer will, kann sogar mit leichtem Quietschen einen Strich auf den Asphalt ziehen. Alle Achtung.
Die gute Spurstabilität in allen Lebenslagen wird allerdings mittels einer recht straffen Federung erkauft, die zunächst recht hart wirkt. Immerhin sind die beiden klassischen Dämpfer hinten vierfach verstellbar.
Rollerfahrer dürfen in puncto Ausstattung mehr Luxus erwarten als der gewöhnliche Biker. Ausgerechnet bei der klassischen Tugend Helmfach patzt der Versity beinahe. Das wird nicht für jedes Modell reichen. Fragwürdig ist auch der nett gemeinte Haken für die Einkaufstasche. In der Praxis setzt der hoch liegende Mitteltunnel dem Nutzen schnell Grenzen. Zum Trost gibt es nicht nur ein zweites (nicht abschließbares) Handschuhfach, sondern auch eine Steckdose. Da freut sich der Handybenutzer, wenn der Akku mal wieder unerwartet schnell schlapp macht. Nervig sind die etwas umständlich zu bedienenden und hakeligen Schlösser. Dafür braucht man entweder ein Diplom oder viel Geduld. Nicht gefallen kann auch der Seitenständer: Er ist zu lang und steil geraten. Achtung: Kippgefahr. Zum Glück ist auch ein Hauptständer serienmäßig mit an Bord.
Der Windschutz ist okay. Wem es am Kopf oder an den Knöcheln dennoch zu zugig ist, kann im Zubehörkatalog auf eine höhere Scheibe (72 Zentimeter) und Anbauteile für eine Verbreiterung des Beinschildes zurückgreifen. Die Soziusrasten lassen sich bei Solofahrt für ein gefälligeres Erscheinungsbild einklappen.
Weitgehend in Ordnung geht das Cockpit. Freude bereiten vor allem die auch bei Sonne gut sichtbaren Kontrollleuchten. An dem kleinen Bordcomputer können sich andere Hersteller ein Beispiel nehmen. Er ist nützlich, ohne mit (überflüssigen) Funktionen überfrachtet zu sein. Positiv sticht die Anzeige der Außentemperatur ins Auge. Das ist gerade an Herbst- oder Wintertagen als Bodenfrostwarnung nicht zu verachten. Weniger zuverlässig arbeitete zumindest an unserer Testmaschine der Zeiger für die Kühlwassertemperatur. Er konnte sich nie so recht entscheiden, ob und wenn ja, wohin überhaupt er sich bewegen sollte. Bei ausgeschalteter Zündung dient der gleiche Zeiger übrigens anstandslos als Batterieladestandskontrolle. Auch das ist ein sinnvolles Extra für einen möglichst nervenschonenden Umgang mit dem bequemen Untersatz. Dazu passen auch die optional erhältlichen wintertauglichen Lenkerstulpen für die Hände. So ausgestattet mutiert der Versity 300 zum Ganzjahresfahrzeug. Dass serienmäßig auch eine Warnblinkanlage mit an Bord ist, erübrigt sich da beinahe schon zu erwähnen. Praxisgerecht sind auch die abgewinkelten Reifenventile.
Fazit: Mit dem neuen Yamaha-Roller muss man sich nicht in der Stadt verstecken, sondern er macht auch auf Straßen höherer Ordnung eine gute Figur. Komfort und Kraftentfaltung reichen für mehr als nur den Wochenendausflug in die Lüneburger Heide. Er entzieht sich dem Wettrennen um immer mehr Hubraum und Leistung im Rollersegment, sondern fährt seinen eigenen Kurs und versucht, mit inneren Qualitäten zu glänzen.
Der Yamaha Versity 300 ist ein gelungener Wurf, kränkelt aber ein wenig im Detail. But nobody is perfect. Mit einem Preis von knapp 5495 Euro ist er angesichts der umfangreichen und sinnvollen Serienausstattung absolut konkurrenzfähig.