aus bma 05/01

von Jens Riedel

Yamaha XP 500 Tmax (Mod. 2001)Der Passat-Fahrer hat es offensichtlich nicht verwunden, dass am Ortsausgang ausgerechnet ein Roller satt an ihm vorbeizieht und souverän entschwindet. Zwei Minuten später revanchiert er sich mit einem Überholmanöver bei Tempo 120, obwohl die Schilder ganz klar eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 km/h signalisieren. Aber wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen schmeißen – pardon, will meinen, wer auf dem neuen Tmax von Yamaha unterwegs ist, der muss selbst sehen, dass er nicht ständig schneller als erlaubt den Asphalt unters Gummi nimmt.
Schon als die ersten Gerüchte über den Tmax 500 durch die Gazetten kursierten, fiel selbst eingefleischten Motorradfahrern die Kinnlade runter. Ein Roller mit zwei Zylindern, 500 Kubik, 40 PS und 160 Spitze? Umdenken ist angesagt.
Auch Yamaha-Händler Dieter Westphalen aus Heiligenstedten, der uns die Maschine zur Verfügung stellte, ist begeistert. „Ich hatte nie Lust auf Roller, aber der hier macht echt Spaß.” Und? Der Mann hat Recht!
Wie gesagt, umdenken ist gefragt. Vergesst (fast) alles, was ihr an Vorurteilen gegenüber „Bidets auf Rädern” (so mein bester Freund zum Thema) habt. Der Tmax braucht sich hinter keinem Mittelklassemotorrad zu verstecken.

 

Yamaha XP 500 Tmax (Mod. 2001)Umdenken: Nicht nur was das Zucken in der linken Hand angeht, die ständig nach einer Kupplung greifen will, die gar nicht da ist.
Umdenken: Die Automatik arbeitet so reibungslos, dass man sie gar nicht bemerken würde, wenn man nicht hin und wieder einen Blick auf den weiß unterlegten Tacho mit dem roten Ziffernblatt werfen würde und die Nadel nur so nach oben sausen sieht. Und das mit Schmackes. Das Steißbein wird immer wieder gegen die kleine Lehne gedrückt, die sich dreifach verstellen lässt. Immerhin stolze 7,5 Sekunden gibt Yamaha für den Sprint von 0 auf 100 an.
Umdenken: Ein kleiner Tunnel erhebt sich im Fußraum über den weit vorne liegenden Zweizylinder und verwehrt den rollertypischen „Einstieg”. Der Tmax will, dass man ganz normal wie auf ein Motorrad aufsteigt.
Umdenken: 45,8 Newtonmeter lässt die automatische Fliehkraftkupplung bei 5500 Umdrehungen auf die stufenlose Automatik los, das reicht für mehr als nur den kurzen Ampelsprint an der Ausfallstraße. Die 40 PS liegen bei 7000 Umdrehungen an. Der Sound, der aus dem üppigen Auspuff brabbelt, ist zwar schön sonor, beim Beschleunigen bleibt davon aber nicht mehr viel übrig. Man hört, hier ist ein Automatik-Roller am Werk.
CockpitDie ersten zwei, drei Minuten bis zum Erreichen der Betriebstemperatur ruckelt das Viertakt-Aggregat zwar etwas, aber danach schnurrt es nur noch so. Bis 120, 130 km/h zieht der wassergekühlte Paralleltwin den 200 Kilogramm schweren Sessel wie auf Schienen nach vorne. Lediglich in engen Kurven lässt sich bei hohem Tempo der Strich nicht mehr ganz so gerade ziehen, aber Unruhe kommt deshalb noch lange nicht ins Fahrwerk. Mit einem Radstand von immerhin 1,575 Metern stehen die Achsen genauso weit auseinander wie beispielsweise bei Guzzis California.
Umdenken: Der Tmax ist nix für die Stadt. Gewicht und Länge wollen raus in die Natur geführt werden. Auf Landstraßen fühlt sich der flotte Flitzer am wohlsten.
Umdenken: Keine Frage, der XP 500 Tmax (so die vollständige offizielle Bezeichnung) scheut auch die Autobahn nicht und erweist sich bei BAB-Richtgeschwindigkeit als durchaus souveräner Fernreisender. Werden die Füße gar choppermäßig auf den vorderen 45-Grad-Auflagen abgesetzt, steht dem entspannten Kilometerabspulen nichts mehr im Wege – mit einer kleinen Ausnahme, denn in einer Sache haben die Konstrukteure leider nicht umgedacht: Die Höhe der Scheibe orientiert sich mal wieder am Gardemaß eines Japaners. Da kommen 1,76 Meter große Durchschnitts-europäer in Turbulenzen. Zwei, drei Zentimeter mehr hätten dem Plexiglas ganz gut getan.
Doch am Wind- und Wetterschutz gibt es ansonsten nichts zu mäkeln. Die Hände bekommen kaum ein Lüftchen ab, und lediglich bei gerade aufgesetzten Füßen zieht’s ein wenig am Unterschenkel. Aber wie schon erwähnt, wer die Treter gemütlich ausstreckt und näher hinterm Beinschild platziert, der bekommt davon nichts mehr mit. Die recht üppige Verkleidung sorgt aber auch dafür, dass die angegebene Topspeed von 160 km/h eher etwas optimistisch ausfällt. Aber wie gesagt, bei BAB-Richtgeschwindigkeit ist die (Zweirad)Welt voll in Ordnung.
Yamaha XP 500 Tmax (Mod. 2001)Beim Stopp merkt man, dass die Sitzhöhe mit 795 Millimetern zwar niedrig ist, aber die Bequemlichkeit ihren Tribut fordert. Die Sitzbank – oder soll man besser sagen, der Sessel – ist nämlich recht breit und da müssen Normalsterbliche schon durchaus die Zehenspitzen zur Hilfe nehmen, um festen Boden unter die Füße zu bekommen.
Das Fahrwerk ist recht straff abgestimmt, schließlich soll das Ding ja auch mit 150 Sachen noch ruhig auf der Straße liegen. Zur guten Kurvenlage tragen vorne ein 120/70-14-Reifen bei, während es hinten stolze 150 Millimeter Breite sind. Die beiden Stopper hingegen wirken doch recht verschieden. Während die Scheibenbremse mit 267 Millimetern hinten links klar auf den Punkt kommt, fühlt sich die mit 282 mm etwas größer ausgefallene Scheibe am Vorderrad doch deutlich schwammiger an. Etwas halbherzig wirken die Rückspiegel. Sie sind auffallend groß, hängen aber an etwas zu kurz geratenen Auslegern. Da spielte wohl mal wieder die Statur eines Durchschnitts-Japaners eine Rolle.
Der XP 500 Tmax ist nicht einfach bloß ein aufgeblasener 125er oder 250er Majesty. Um die gelungene Symbiose aus Roller-Komfort und Motorrad-Kraft auf die 14 Zoll-Räder zu stellen, bedurfte es schon der Abkehr von der traditionellen Bauweise. Der Tmax hat einen motorrad-typischen Rohrrahmen vom Lenkkopf bis zum Heck. Der Motor ist nicht als Triebsatzschwinge ausgelegt, sondern liegt fest und flach zwischen den Rahmenrohren und verleiht dem ganzen Gefährt einen extrem niedrigen Schwerpunkt. Damit auch alles passt, hat man sogar den Kühler liegend montiert. Das Federbein zur Schwinge hat sich ebenfalls in die Horizontale begeben und reagiert auf Zug statt auf Druck. Den Antrieb zum Hinterrad erledigt eine in Öl laufende, völlig abgekapselte, wartungsfreie Kette, während der Primär- antrieb über einen Zahnriemen erfolgt. Den fälligen Zahnriemen-Wechsel signalisiert eine eigens im Cockpit montierte Warnleuchte. Neben Tacho und Digitaluhr gibt es auch noch eine gut ablesbare Temperatur- und eine Tankuhr. Letztere braucht allerdings ein wenig Anlauf, um auf ihre Endposition zu gehen.
32 Liter fasst der Stauraum unter der üppigen Sitzbank, die per Zündschloss entriegelt und via Stoßdruckdämpfer oben gehalten wird. Den Integralhelm muss man trotzdem auf die Seite legen, damit der Deckel auch wieder zugeht.
14 Liter schluckt der Tank. Der Benzinverschluss befindet sich hinter einer Klappe an der Sitzbank. Ein kleines Handschuhfach für Handy und Sonnenbrille ist ebenfalls mit an Bord. Apropos Handy: Im Zube-hörangebot offeriert Yamaha auch noch eine Steckdose für das Mobilfunk-Ladekabel. Zusätzlich erhältliche Beinschilde sowie ein Gepäck- träger fördern die Reiselust mit dem Riesen-Roller noch ein bisschen mehr.
Wie schon gesagt, der XP 500 braucht sich hinter keinem Mittelklasse-Bike verstecken. Mit einer Ausnahme: Nicht nur Komfort und Leistung sind das derzeitige Maximum im Rolleresegment, sondern leider auch der Preis. 16.500 Mark möchte Yamaha für den Tmax haben. Da wird es die Maschine, die weder recht Roller noch richtig Motorrad ist, nicht leicht haben.