aus bma 3/00
von Konstantin Winkler
Ein Motorrad kann nicht einzylindrig und viertaktend genug sein. Dieser Leitspruch der Eintopf-Fraktion mag mich seinerzeit dazu bewogen haben, unter Beibehaltung der Zylinderzahl Hubraum und Leistung zu verdoppeln. Und trotzdem war es ein gewaltiger Schritt, von einer betagten Einzylinder-BMW auf ein fast ebenso antiquiertes japanisches Kultmotorrad umzusteigen. Jetzt dürfte jedem Leser klar sein, welches Bike gemeint ist: die Yamaha XT 500.
1976 bewies Yamaha Mut und stieß in eine Marktlücke. Ein halber Liter Hubraum und sowohl bescheidene als auch versicherungsgünstige 27 PS (bei 5.900 U/min), das Ganze als Enduro verpackt, das gab es damals kaum auf dem Motorradmarkt. Die XT 500 machte den Einzylinder wieder salonfähig und auch andere Motorradhersteller wollten vom Marktkuchen etwas abhaben. Honda probierte es mit der XL 500 S. Vier Ventile, dazu noch eine Dekompressionsautomatik, das hatte zu wenig Stil. Suzuki präsentierte die SP 370, die sich als totaler Verkaufsflop entpuppte.
Die Ur-XT hatte noch einen tiefliegenden Auspuffkrümmer und die Gabel musste ohne Faltenbälge auskommen. Ein Jahr später läuft der Krümmer am rechten Zylinderfuß vorbei, wie es sich für eine Enduro gehört. 1981 sah die XT dann so aus, wie wir sie kennen und lieben: mit Alutank (polierte Flächen und rote Zierlinien) sowie goldenen Felgen. 1986 waren die Felgen wieder silber, dafür strahlte der Scheinwerfer mit 12 Volt.
Die XT ist eines der wenigen japanischen Motorräder, an denen die High-Tech-Welle vorbeischwappte. Weder am einfachen Aufbau des Motors noch an der konventionell-konservativen Fahrwerkstechnik hat sich in den Produktionsjahren etwas geändert. Die Telegabel mit 195 Millimetern Federweg vorne und zwei schräg angelenkte Federbeine hinten, die der Stahlrohrschwinge 160 Millimeter Federweg erlauben, sind damals wie heute nicht gerade aufregend. Die Bremsen sind auf BMW-Niveau, allerdings dem der frühen 50er Jahre. Die Simplex-Trommelbremse – früher sagte man dazu Dosendeckelbremse – mahnen zu vorausschauender Fahrweise. Bei starker Belastung sind sie überfordert. Andererseits, wie sähe das auch aus: die nostalgische XT mit gelochter Bremsscheibe – nicht auszudenken.
Der Motor – das Herzstück jedes Motorrades: die von einer Kette angetriebene obenliegende Nockenwelle ist das einzige, was modern und fortschrittlich wirkt. Der Rest könnte auch von einem D-Rad aus den zwanziger Jahren stammen. Im Blockmotor ist auch das Getriebe unter- gebracht, dessen Schmierung das Motoröl mit übernimmt. Ebenfalls im Ölbad befindet sich die Mehrscheibenkupplung. Auf dem linken Kurbelwellenstumpf sitzt der Schwung- lichtmagnetzünder. Den Vorteil dieses Bauteils kennen und schätzen Mofa- und Oldtimerfahrer: sowohl ohne als auch mit kaputter Batterie kann die XT angekickt und auch gefahren werden. Das gleiche gilt bei defekter Lichtmaschine.
Es macht Spaß, mit 1500 bis 2000 Umdrehungen pro Minute durch die Gegend zu tuckern. „Put, put, put” – der Lanz Bulldog lässt schön grüßen. Ab dieser Drehzahl nimmt der Motor sauber Gas an, die Abstimmung des 38er Mikuni-Vergasers ist gelungen. Ein Loch in der Leistungsabgabe ist nicht festzustellen. Das Einzylindertriebwerk dreht spielend hoch bis 6500 U/min, was einer Kolbengeschwindigkeit von 18 Meter je Sekunde entspricht. Der Kaltstart gelingt problemlos. Benzinhahn auf, Choke drücken, Dekompressionshebel ziehen und mittels Kickstarter den Kolben über den oberen Totpunkt befördern. XT-Greenhorns erkennen das an der weißen Markierung am Ventildeckel. Spätestens auf den zweiten Kick ist der Eintopf dann am Leben und Beben. Eine Kunst für sich ist es, den halbwarmen, abgesoffenen Motor wieder zum Leben zu erwecken. Das geht nur nach Gefühl, eine Gebrauchsanweisung gibt es nicht. Selbst Kick-Experten erleben da ihr persöhnliches Waterloo.
Das leidige Thema Lichtanlage: bis 1986 gab es nur 6 Volt serienmäßig. Mit der Bilux-Funzel war das Fahren in der Nacht nur bei Vollmond und höchster Konzentration möglich. Also muss man auf 12 Volt umrüsten, wenn man auch nach Sonnenuntergang sicher unterwegs sein will.
Die Verarbeitung: Die Elektrik ist schlampig verlegt. Kupferwürmer und Kriechströme sind allgegenwärtig. Wenn man an der roten Ampel steht und den Blinker betätigt hat, zucken die übrigen Lampen im Takt mit.
Die Verchromung ist mäßig. Nach einer Nacht Standzeit im Regen zeigen sich erste Oxidationserscheinungen. Noch schlechter verarbeitet ist die Auspuffanlage. Die scheint schon auf dem Prospekt zu rosten.
Der Motor ist unverwüstlich. Ein viertel Liter Ölverbrauch auf 1000 Kilometer ist normal, ab einer Laufleistung von etwa 30.000 Kilometern steigt er dann auf einen Liter an. Irgendwann ist dann ein neuer Kolben fällig. Auch im Bereich des Zylinderkopfes ist eine Nachbesserung von Nöten, will selbiger in allen Lebenslagen einen kühlen Kopf behalten: eine Ölsteigleitung zum Auslassventil.
Peinlich genau einstellen sollte man die Zündung. Lässt der Unterbrecherkontakt die Zündkerze vor dem oberen Totpunkt zünden, kann es für den Knöchel beim Ankicken äusserst schmerzhaft werden.
Richtigen Ärger hatte ich nie mit der XT, wenn man von Kleinigkeiten wie einer gerissenen Kette oder einem gebrochenen Mittelfußknochen absieht. Trotzdem wurde sie verkauft und ich widmete mich kurzfristig den nächsten Evolutionsstufen XT 550 und XT 600 Ténéré. Aber trotz des moderneren Motors (vier Ventile und Dekompressionsautomatik) und fortschrittlicherem Fahrwerk (Zentralfederbein), hatten die Neuen nicht so viel Stil wie die Alte.
Fazit: Wer viel auf der Straße und wenig im Gelände unterwegs sein will, auf vier Ventile und ähnliche Innovationen gut verzichten kann und seine Inspektionen irgendwo zwischen Turin und Tunis selbst machen möchte, ist mit der XT 500 gut bedient. Und Angst vor den Flug auf das Garagendach braucht nur der zu haben, dem das Anlasserknöpfchen vertrauter ist als ein Kickstarter.
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