aus bma 10/06

von Jens Rademaker

Yamaha R6 Mod. 2006 Ich persönlich war ja der Meinung, wenn man einen Supersportler fahren will, dann sollte man sich an dem Kubikminimum von 1000 ccm orientieren. Aber warum nicht mal einer 600er eine Chance geben? Überzeugen wird die höchstens durch ihr Gewicht! Im Allgemeinen fehlt es den Kleinen ja bekanntermaßen in den wichtigen Abschnitten des Lebens an Leistung, Drehmoment und Agilität. Erlebt man doch immer wieder auf den Rennstrecken und Landstraßen der Welt, wie die Einliter den kleinen immer und überall die Show stehlen (mehr oder weniger). Eigentlich kein Wunder, da die großen Supersportler meist gut 50 PS mehr auf die Kurbelwelle stemmen. Mit dieser Einstellung begab ich mich nun zum Yamaha-Vertzragshändler, um die kleine Schwester der R1 für ein paar Tage zu entführen.
Alle zwei Jahre wird der Markt inzwischen mit einer neuen Version der YZF-R6 versorgt, nun denn wollen wir mal sehen, was sie zu bieten hat. Die Optik der YZF-R6 ist durchaus wohlgefällig. Sie wirkt trotz eines Radstandes von 1380 mm ziemlich kurz und gedrungen. Durch das flache Heck kommt das Hinterrad und die schön gestaltete und in die Linie des Motorrades eingefügte Schwinge voll zur Geltung. Erst das genauere Hinsehen enthüllt einige beeindruckende Details: Die Kettenspanner sind schön aus einem Stück gefräste Aluminiumteile, der Serienendtopf besteht aus Titan, die Front erinnert an ein gieriges Insekt.

 

Doch endlich soll das beginnen, was das Testerleben so lebenswert macht: Fahren, fahren und vor allem Fahren. Nach dem Druck aufs Knöpfchen nimmt der Vierzylinder mit vier Ventilen pro Zylinder seine Arbeit auf. Dem Endtopf entweicht das verbrauchte Benzin-Luftgemisch mit infernalem Fauchen. Kurze Zugimpulse am Gasgriff steigern das Kreischen in nie vermutete Höhen. Solch eine Gräuschkulisse erwartet man eher von Anlagen wie Akrapovic oder Laser, doch hier arbeitet die Serienanlage von Yamaha schon beeindruckend. Leicht irritiert wandert mein fragender Blick vom Drehzahlmesser zum Gesicht des Einweisers aus der Werkstatt: „Der rote Bereich beginnt bei 17.500 U/min… Ist das ernst gemeint?” Das Grinsen im Gesicht des Anderen sollte Antwort genug sein. Naja, was Michael Schumacher und Co. ausnutzen können, das kann ich nun auch, zumindest in der Theorie.
Yamaha R6 Mod. 2006Nun ab auf die Landstraße: Die ersten Kilometer sind doch etwas gewöhnungsbedürftig, sofern man gewohnt ist, auf außerörtlichen Strecken den nächsten Gang doch recht früh einzulegen. Leicht wird das Runterschalten vor der Kurve vergessen, diesen Fehler dankt die R6 dann mit mangelndem Schub, was ein Verreißen der Linie zur Folge hat. Ok, Fahrweise anpassen und noch mal: Ranfahren, anbremsen, zweimal runterschalten (der Drehzahlmesser springt dabei in die Senkrechte, oder auch weiter), rein in die Kurve, gefühlvoll am Kurvenausgang bis 15.000 U/min durchziehen und den ständig wachsenden Druck genießen… geht doch. Mit der neuen R6 hat man ständig das Gefühl auf einer Rennstrecke zu fahren. Nicht weil man so schnell ist, sondern weil allein die Geräuschuntermalung durch die Tüte und die hektische Arbeit an der Schalt- und Gaseinheit dem Erlebnis auf einem Rundkurs ziemlich nahe kommt. Das Geräusch des Titantopfes sorgt in manchen Ortschaften schon für Aufsehen, denn auch wenn man gemütlich im vierten oder fünften Gang durch die 50 km/h-Zone schaukelt und die Handgelenke entspannt, klingt es als würde man das Motorrad im ersten Gang nahe des Begrenzers durch den Ort quälen. Eine echte Kreischsäge eben.
Die Bremsanlage ist selbst bei zügiger Fahrt nie überfordert. Griffig und gut dosierbar beißen die vier Kolben der vorderen Anlage in die 310mm Bremsscheiben. Für den Fall der Fälle greift hinten unterstützend die Einkolben-Schwimmsattel-Anlage mit der 220mm Scheibe ein. Einziges Manko: Auf etwas welligem Untergrund (vor allem in Kurven) stört leichtes Lenkerschlagen die flotte Fahrt. Ein Lenkungsdämpfer würde hier für erhebliche Verbesserung sorgen. Zügige Fahrt heißt hier auch der schnelle Ritt durch das Drehzahlband. Besonders zu genießen auf der Autobahn-Auffahrt. Ab 8500 U/min geht die Post ab, beim Überschreiten der 12000er-Marke werden die Arme länger, und bei 15000 U/min trennt sich die Spreu vom Weizen. Die fahrfertig 190 kg wiegende Maschine verlangt vollen Körpereinsatz, wenn die 127 Pferde die Sporen bekommen.
Yamaha R6 Mod. 2006 Nun noch die Rundkursprobe. Gemütliches Treffen auf dem Gelände des ADAC Fahrsicherheitszentrums in Lüneburg. Vier Stunden Serpentinen- und Rundkurs stehen der R6 bevor. Der Testerkollege mit einer BMW R 1200 S fährt voraus und kennt ab den ersten Kurven keine Freunde mehr, doch siehe da, die kleine 600er hat nur wenig Mühe dran- zubleiben. Was die Große aufgrund mehr Leistung und mehr Drehmoment besonders auf der Geraden nach vorne bringt, macht die Kleine mit viel Drehzahl und super Fahrwerk spätestens in dem nächsten Kurvenausgang wieder wett. Der fehlende Lenkungsdämpfer wird auf dem Kurs nicht mehr vermißt. Die Maschine gehorcht dem Meister aufs Wort, und der Chef weiß ja nun auch, was Sache ist. Exakt hält die R6 die gewählte Spur, und es ist ein Genuß mit dem Knie den Bodenkontakt zu suchen (und auch zu finden). Auf der Stecke merkt man dann, wo ihre Stärken liegen: Einbremsen, Abknicken und Rausbeschleunigen bis der Drehzahlarzt kommt.
Der Verbrauch der Kleinen ist dabei sehr erträglich, etwa 6,5 Liter auf hundert Kilometer fließen durch den Brennraum. Beim normalen Ritt über Landstraßen und durch Ortschaften reicht die Füllung des 17,5 Liter Tanks 257 km weit. Auf dem Rundkurs nimmt das Aggregat auch schon gern etwas mehr.
Erschwinglich ist der Spaß eines solchen Spielzeugs allemal, auch wenn der Preisfaktor nicht deutlich unter dem Niveau einer 1000er liegt. Mit 11.030 Euro ist man dabei, plus noch mal 600 Euro für einen kleinen Lenkungsdämpfer für die Holperstrecken. Im Nachhinein muß ich gestehen, daß ich nicht mit so einem Erlebnis gerechnet hätte. Die 600 ccm der kleinen YZF machen fast mehr Spaß als der eine Liter der R1 (jede hat eben ihr besonderes Flair). Und jedem, der schon beim Kauf überlegt, welche andere Auspuffanlage am besten aussieht, sei gesagt: „Finger wech! Wird nicht besser! Ist perfekt so!” Rein optisch weiß die R6 mit kleinen aber feinen Details zu gefallen. Das schlanke Heck mit dem LED Rücklicht, die Alienfront, die wohlgeformte Schwinge und vieles mehr prägen das Bild der Yamaha. Zum Glück ist Yamaha dem etwas kantigen, bösen Design treu geblieben.
Die YZF-R6 ist also durchaus eine Überlegung wert, denn die Unterschiede zu den Hubraumstärkeren sind nicht so gewaltig, wie man glauben sollte. Für den Normalgebrauch auf deutschen Straßen ist sie wohl gerüstet, und auf Rennstrecken ist sie ein ernstzunehmender Gegner. Meine Meinung zu den 600 ccm Maschinen hat sich nach diesem Exkurs jedenfalls merklich geändert. Die Drehorgel hat sich auf jeden Fall meinen Respekt verdient.