aus bma 05/07

von Klaus Herder

Yamaha R1 (Mod. 2007)Die Fünfte……ohne Fünf – Was schert mich mein Geschwätz von gestern! Der alte Adenauer lieferte den Yamaha-Verantwortlichen eine Steilvorlage in Sachen Motoren-Technik. Seit über 20 Jahren, genauer gesagt seit der ab 1985 angebotenen FZ 750, verkaufte Yamaha den Fünfventil-Zylinderkopf als das Nonplusultra für Sportler ab 750 Kubik. Theoretisch sind drei Einlaßventile auch eine prima Sache, erlauben sie doch eine effektivere Füllung mit Frischgas (theoretisch). In der Praxisversuchten zeitweise auch noch einige Formel 1-Motorenhersteller ihr Glück mit fünf Ventilen. In der Motorradbranche blieb Yamaha aber der einzige Anbieter mit dieser technisch sehr aufwendigen Lösung. Und Valentino Rossi errang seine beiden MotoGP-Weltmeistertitel für Yamaha bezeichnenderweise mit vier Ventilen. So begab es sich, dass Yamaha für die fünfte Auflage des seit 1998 verkauften Sportler-Flaggschiffs YZF-R1 Abschied vom fünften Ventil nahm. Und das fast still und heimlich. In der ansonsten in epischer Breite schwelgenden Presse-Information verliert sich gerade mal ein kurzer Absatz zu diesem Thema. Macht aber nichts, denn den vielen R1-Fans war es vermutlich auch bislang herzlich egal, warum ihr Schätzchen so wunderbar munter zur Sache kam. Eine Yamaha R1 war immer schon nicht irgendein beliebiger Sportler, sie war und ist – der ansonsten inflationär gebrauchte Begriff passt hier ausnahmsweise wirklich – absoluter Kult. Die Yamaha-Produktplaner bewiesen eingeniales Händchen darin, ihr Spitzen-Modell technisch zwar immer aktuell zu halten, den ganz speziellen und maßgeblich durch zeitlos schönes Design bestimmten Charakter der R1 aber zu bewahren. Die R1 blieb immer etwas kompromissloser und aufregender als die Konkurrenz. Und vor allem absolut unverwechselbar. Vergleichbares gibt es im sportlichen Motorradbereich nur aus Italien: Die legendäre Ducati 916 ist auch ein solcher Meilenstein, das aktuelle Spitzenmodell 1098 zitiert aus gutem Grund den Klassiker. Noch ein Beispiel, diesmal aus der Autobranche: Porsche 911, auch bei ihm blieb immer wieder alles anders.

 

Doch zurück zur R1: Alle zwei, spätestens drei Jahre ist im Sportler-Bereich etwas komplett Neues fällig, die R1 macht da keine Ausnahme. Sie hat natürlich immer noch einen Reihenmotor, ultrakurzer Hub (53,6mm) und fette Bohrung (77,0 mm)blieben überraschenderweise ebenfalls unverändert. Doch damit hat es sich eigentlich auch schon mit den motortechnischen Gemeinsamkeiten von alter und neuer R1. Entwicklungsziele waren natürlich – der Stammtisch braucht schließlich ein Thema – mehr Leistung und vor allem mehr Feuer im unteren und mittleren Drehzahlbereich. Genau dort bekleckerte sich das Vorgängermodell nicht gerade mit Ruhm. Etwas dagegen tun soll „YCC-I” – Yamaha liebt seit jeher Abkürzungen für nette Technik-Schmankerl. Dieses Kürzel steht für „Yamaha Chip Controlled Intake” und bezeichnet ein eigentlichgenial einfaches System, das die Länge des Ansaugtrakts in Abhängigkeit von Drehzahl und Öffnungswinkel der Drosselklappen steuert. Eine solche Steuerung ist sinnvoll, da ein möglichst langer Ansaugtrakt für Drehmomentstärke im unteren und mittleren Drehzahlbereich sorgen kann, ein möglichst kurzer Ansaugtrakt aber bei hohen Drehzahlen gefragt ist. Das System besteht aus vier Ansaugtrichtern aus Kunststoff, die aus jeweils einem oberen und unteren Teil bestehen. Der untere Teil ist un-beweglich ausgeführt und 65mm lang. Die Trichter-Oberteile verlängern die Ansaugtrichter auf 140mm. Allerdings nur bis 10400 U/min.Dann hebt ein elektronisch gesteuerter Elektromotor innerhalb von 0,3 Sekunden den oberen Teil an, zwischen den Trichterhälften entsteht ein Spalt von 28 mm, womit nur noch der kurze untere Trichter als Ansaugtraktwirksam ist.
Yamaha R1 (Mod. 2007)Und da wir es gerade so wunderbar mit den Abkürzungen und elektronischen Helferlein haben, gibt’s noch eines: „YCC-T”. Das steht für „Yamaha Chip Controlled Throttle”, ein System der Drosselklappensteuerung, mit dem Herr Rossi Weltmeister und die Fahrer des 2006er-Jahrgang der YZF-R6 auch schon glücklich werden durften. Für alle, die die Gemischbildungs-Historie der R1 zufällig gerade nicht parat haben: 2002 erfolgte der Wechsel von Vergasern auf Saugrohreinspritzung. 2004 bekam jedes Saugrohr zwei Drosselklappenspendiert (eine vom Gasgriff, die zweite vom Rechner gesteuert). 2007 macht die R1 einen Schritt vorwärts und zwei zurück. Fortan gibt’s nur noch jeweils eine Drosselklappe, die direkt vom Rechner gesteuert wird. Vorteile: Das spart Bauraum, optimiert die Strömungsverhältnisse und garantiert jederzeit den optimalen Öffnungswinkel. Die Befehle der Gashand gehen nur noch zu einem Potenziometer, das die Infos an den besagten Rechner weitergibt, der die ganze Sache mit diversen anderen Parametern kombiniert und sich dann selbst um die Drosselklappen kümmert. Das ist neudeutsch ein „Drive-by-wire-System”, womit übrigens nicht Cablewire gemeint ist. Spätestens an dieser Stelle schlagen die Besitzer von Vergaser-Befeuerten Oldies innerlich die Hände über dem Kopf zusammen und fragen sich, was der ganze Elektronik-Zauberüberhaupt soll und wer das braucht. Natürlich niemand, wenn es nur darum geht, flott Motorrad zu fahren. Aber gemach: Es geht hier schließlich um das Technik-Aushängeschild eines technikverliebten ja-panischen Herstellers. Und es geht darum, möglichst viel Leistung aus einem Liter Hubraum zu kitzeln. Natürlich ist das irgendwie Selbstzweck, aber niemand zwingt die Bing- und Dellorto-Fans, eine R1 zu kaufen, aber reizvoll darf man es trotzdem finden. Vielleicht auch und besonders deshalb, weil Yamaha an anderer Stelle ungemeinbodenständig geblieben ist. Der R1-Arbeitsplatz ist nämlich immer noch so, wie er bisher schon war: Erstaunlich menschenfreundlich. Hände und Füße finden wie von selbst ihre Plätze, der Kniewinkel fällt nicht zu eng aus, die Lenkerstummel liegen nicht zu tief.
Yamaha R1 (Mod. 2007)
Instrumente sind sehr übersichtlich, Schaltblitz und Laptimer sind mittlerweile Supersportler-Standard, komplett fehlende Soziustauglichkeit natürlich auch. Die Spiegel bieten ordentliche Rücksicht, und sogar eine Warnblinkanlage gibt es. Der rote Bereich des Drehzahlmessern beginnt bei heftigen 13700 U/min. Richtig gelesen: Die R1 ist immer noch der am höchsten drehende Einliter-Sportler. Für die volle Leistung von 180 PS(fünf mehr als bisher) muss die Kurbelwelle aber „nur” 12500-mal pro Minuten rotieren. Mit Staudruckaufladung durch die beiden vergrößerten Ansaugschlünde sollen es übrigens 189PS sein. Das müßte für die Stammtischdiskussion eigentlich reichen. Und wo wir gerade beiden technischen Daten sind: Das maximales Drehmoment von 113Nm liegt bei ebenfalls nicht geradebescheidenen 10500 U/min an. Die Konkurrenz stemmt durchweg etwas mehr und benötigt dafür geringere Drehzahlen. Sollte der ganze YCC-I-Zauber also unwirksam sein. Klare Antwort: Jein. Zumindest hat die R1 im unteren und mittleren Drehzahlbereich nur mäßig Muskeln zugelegt. Ihre Vorstellung unterhalb von 7000U/min ist nett, aber nicht unbedingt spektakulär. Bei besagten 7000 Umdrehungen (und wenigstens 80km/h) nahm sich das Vorgängermodell eine kurze Auszeit, die aktuelle R1 leistet sich diesen Einbruch nur noch in stark abgeschwächter Form. Trotzdem: Wer aus engen Kurven bei niedriger Drehzahl das Gas aufreißt, hat nicht unbedingt das Gefühl, auf einer 1000er zu sitzen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Gasannahme bei ganz niedrigen Drehzahlen nur mit leichter Verzögerung erfolgt und Lastwechselschläge leider auch geboten werden. Das wirkt alles eher wie bei einer sensiblen 600er. Oder anders gesagt: Das Gerät benötigt Drehzahlen. Wer die Kordel allerdings richtig spannt und die besagte 7000er-Marke hinter sich gelassen hat, merkt dann schon sehr schnell den Unterschied. Und wie er ihn merkt! Die 180 (in Worten: EIN-HUNDERTACHTZIG) Pferdestärkenzaubern das ganz breite Grinsen ins Gesicht des immer noch erstaunlichbequem untergebrachten R1-Piloten. Da muss man schon ein ziemlich gefestigter Charakter sein, um das Landstraßenlimit nicht mal eben um 100 Prozent zu überschreiten. Der Umschaltzeitpunkt der Ansaugtrichter-Mimik ist im Fahrbetrieb übrigens nicht zu spüren. Der Yamaha-Vierer feuert nonstop, dass es eine wahre Freude ist. Das, was dann – ganz legal- aus der Airbox und den fetten Auspufftöpfen tönt, ist ein Gedicht. Genau so böse muss ein Supersportlerklingen! Yamaha R1 (Mod. 2007)Der Motor mag anfangs etwas gewöhnungsbedürftig zur Sache gehen, mit dem Getriebe freundet man sich auf Anhieb an. Seidig weich, trotzdem mit sauberer Rastung und notfalls auch ohne Kupplungshilfe ist die Arbeit im goldrichtig übersetzten Sechsganggetriebe ein einziges Vergnügen. Die Freude steigert sich noch, wenn die ersten flotten Kurvenkombinationen unter die Räder genommen werden. War man eben noch versucht, sich bittere Vorwürfe zumachen, dass man doch nicht zur kernigeren Suzuki GSX-R 1000 gegriffen hat, ist spätestens jetzt klar, warum es für Kurvenjunkies eine R1 sein muss: So spielerisch leicht, so lockerund superhandlich fegt keine andere durchs Winkelwerk. War der 600er-Vergleich bei der Motorcharakteristik nicht gerade als Lob gemeint, so ist er in Sachen Fahrwerk das größtmögliche Kompliment. Jawohl, das Handling der R1 entspricht dem einer wieselflinken 600er. Dabei hat die 2007er-R1 sogar etwas Fett angesetzt und wiegt mit 18 Litern vollgetankt jetzt 210 statt 204 Kilo, doch davon ist nichts zu spüren. Die Konkurrenz mag zum Teil mehr Leistung, mehr Drehmoment und weniger Masse haben. Doch mehr Spaß macht keine, wenn es richtig schön kurvig wird. Absolut neutral umrundet sie Radien jeder Art. Lenkpräzision, Zielgenauigkeit, Rückmeldung – alles allererste Sahne. Die neuen, straff, aber nichthart abgestimmten Federelemente(wie bisher natürlich voll einstellbar, am Federbein jetzt auch mit getrennter Highspeed- und Lowspeed-Regelung der Druckstufe – wer es braucht…) spielen jederzeit prima mit. Die Reifen bleiben immer genau da, wo sie hin gehören. Und sollte man sich vor lauter Fahrfreude mal etwas verschätzt haben, ermöglicht die neue R1 ein nocheffektiveres Ankern. Die alten Vierkolben-Bremsen waren schon klasse, doch die neuen Sechskolben-Stoppersetzten noch eins drauf. Herrlich dosierbar und mächtig zupackend wandeln die Bremsen Bewegungs- in Wärmeenergie um. Die Sechskolbenzangen sind übrigens streng genommen gar keine, sondern eine Kombination aus parallel arbeitenden Vier- und Zweikolbenbremsen mit getrennten Belägen. Die beiden oberen Kolben teilen sich jeweils einen Belag, der untere Kolben ist Einzeltäter. Wir hatten das Thema schon: Der Japaner an sich ist manchmal etwas technik-verliebt. Kein Selbstzweck ist die neue Anti-Hopping-Kupplung, die das Hinterrad beim verschärften Anbremsen stempelfrei und zuverlässig auf dem Asphalt hält. Yamaha ist seit jeher nicht nur technikverliebt, sondern auch rechtpragmatisch. Und so kann die in Blau, Schwarz und Rot/Weiß lieferbare R1 mit einer tadellosen Verarbeitung, mit akzeptablem Verbrauch(Landstraße unter sechs Liter) und mit einem Flutlicht punkten, das mancher Reisedampfer nicht zu bieten hat. Die Yamaha YZF-R1 kostet 13782 Euro, mit Nebenkosten sind es 14 Mille. Die anderen Japaner machen es etwas günstiger, dafür hat die R1 vermutlich den besten Werterhalt. Wer den ganz großen Bums aus dem Drehzahlkeller will, ist mit einem anderen Fabrikat vermutlich besser bedient. Wer aber kapiert hat, dass Rennen nicht auf der Geraden, sondern in den Kurven gewonnen werden (Nein, das ist keine Aufforderung zur Raserei im öffentlichen Straßenverkehr…), kommt an der drehzahlgierigen, superhandlichen R1 nur schwer vorbei. Herr Rossi macht uns mit der YZF-M1 schließlich regelmäßig vor, wie das funktioniert. Und dafür benötigter noch nicht mal fünf Ventile.