aus bma 09/99

von Horst Hullmann

Vor ein paar Jahren waren wir mit unseren Motorrädern in den Alpen unterwegs. Da kam auf einer Paßhöhe ein fremder Biker an unseren Tisch, der sich über unseren erkennbarenAlpen Altersunterschied wunderte und fragte, ob wir wohl Vater und Sohn seien, was wir gejahten. Er fand das „einfach Klasse” und bedauerte, daß seine Tochter noch nicht alt genug sei, um mit ihm auf Tour zu gehen. Vielleicht ist sein Wunsch inzwischen in Erfüllung gegangen. Für mich und meinen Sohn Tim jedenfalls sind seither noch einige tausend gemeinsame Motorradkilometer hinzugekommen.
Nach den österreichischen, italienischen und schweizer Pässen, standen für 1998 die französischen Alpen auf unserem Programm. Diese haben gegenüber denen anderer Alpenregionen für uns Norddeutsche jedoch einen gravierenden Nachteil, sie sind ganz einfach weiter weg! Zwischen dem Genfer See und Nizza erstrecken sich auf knapp 700 Kilometer „Pässe pur”. Von zu Hause bis zum Genfer See sind es aber mehr als tausend Kilometer und von Nizza nach Hause … na ja, läßt sich ausrechnen. Da kommen wir mit einer Woche – wie sonst – wohl nicht aus. Zwei Tage müssen wir mindestens noch anhängen.

 

AlpenWir sind auf Camping eingestellt und haben unser Iglu-Zelt dabei. Die Strecke bis zum Genfer See legen Tim auf seiner Seven Fifty und ich auf meiner NTV 650 in zwei Autobahnetappen zurück, zunächst bis nach Lörrach und am zweiten Tag über Basel und Bern nach Thonon les Bains am Südufer des Genfer Sees. Leider spielt das Wetter nicht mit und wir müssen für die ersten beiden Übernachtungen ein Hotelzimmer zu nehmen. So können wir am nächsten Morgen jedenfalls mit trockenen Klamotten den Tag beginnen. Ein wenig ärgerlich finden wir, daß uns die Schweizer mit einer Jahresvignette für 48 DM pro Maschine abzocken, obwohl wir nur einmal für 260 Kilometer die Schweiz durchfahren wollen. Dafür hätten die wenigstens die Sonne scheinen lassen können!
Thonon les Bains ist ein französischer Kurort mit einer recht schönen Seeufer-Promenade, reichhaltig geschmückt mit Blumenarrangements und Wasserspielen. Von hier aus geht es am dritten Tag unserer Reise hinauf in die französischen Alpen, und nun hört es zum Glück auch auf zu regnen. Vor uns liegen Kurven über Kurven und Pässe mit klangvollen Namen. Hier nur eine Auswahl: Col de L’Iseran (2.770 m), Col du Galibier (2.646 m), Col du Lautaret (2.058 m), Col d’Izoard (2.360 m), Col de Vars (2.111 m) und der Col de la Cayolle (2.327 m). Wir fahren durch die Olympiastädte Chamonix, Albertville und Val d’Isere, vorbei am höchsten Berg Europas, dem Mont Blanc, der sich uns leider nicht präsentiert, sondern in den immer noch tief hängenden Wolken versteckt. Die Strecke nennt sich übrigens „Route des Grandes Alpes”, eine Bezeichnung, die sie auch verdient. Die Straßen sind ordentlich ausgebaut und bereiten fahrerisch keine Probleme.
Auf den Paßhöhen ist es empfindlich kalt, trotz der sommerlichen Jahreszeit nur wenige Grad über 0. Auf den französischen Paßhöhen laden keine Lokalitäten zum Verweilen ein. Also genießen wir ein wenig die Aussicht, machen das obligatorische Erinnerungsfoto und wenden uns dann gern der Abfahrt zu, in der Gewißheit, daß es weiter unten zumindest etwas wärmer sein wird.
AlpenWir haben die 700 Kilometer zwischen Thonon und Nizza in drei Etappen unterteilt. Bei Alpentouren sind 200 bis 250 Kilometer pro Tag lang genug, wenn man nicht nur das Kurvenfahren genießen will, sondern in den Fahrpausen auch noch einen Blick für die grandiose Landschaft übrig hat.
Zur ersten Alpenübernachtung suchen wir den Campingplatz in Lanslevillard auf, wo man uns für Zelt, 2 Personen und Motorräder erfreulicherweise nur umgerechnet 19,- DM für die Nacht abnimmt. Der Platz ist ausreichend ausgestattet, und bis ins Dorf sind es nur 10 Minuten zu Fuß. Für Motorradfahrer ist Camping unbedingt dem Hotel vorzuziehen. Wer schon einmal die Gepäckrolle und den Tankrucksack ins Hotelzimmer geschleppt und dann gemerkt hat, daß er etwas aus den Seitenkoffern braucht (das ist immer so), der weiß das. Außerdem trifft man auf dem Campingplatz immer auch andere Biker und kommt schnell ins Gespräch.
Für die zweite Übernachtung haben wir den etwas größeren Ort Barcelonnette ausgewählt. Auch hier ist der Campingplatz preisgünstig; der Ort mit einer Reihe älterer Bauwerke ist schlicht aber recht hübsch und wieder reichhaltig ausgestattet mit Blumenschmuck.
AlpenNun müssen wir uns entscheiden, ob wir für den Weg nach Nizza den mit 2.802 m angeblich höchsten Alpenpaß – den Col de la Bonette – oder den „nur” 2.327 m hohen Col de la Cayolle wählen. Die Reiseliteratur empfiehlt den letzteren als den wesentlich schöneren Paß. Wir folgen dieser Empfehlung und werden nicht enttäuscht. Die schmale Straße führt vorbei an steilen schroffen Felswänden und tiefen Schluchten; es geht über schmale aus Stein gemauerte Brücken, die die Schluchten überspannen und durch Dörfer, die an der Felswand zu „kleben” scheinen wie Schwalbennester.
Die letzte Alpenetappe wird zu einem Erlebnis der Gegensätze. Nach Überquerung des Col de la Cayolle folgen noch einige kleinere Alpenpässe. Die Bergdörfer, durch die wir fahren, sind sehr schlicht, verfügen zumeist nicht einmal über ein Geschäft oder eine Kneipe. Die Orte vermitteln eine besondere Atmosphäre von Ruhe und Beschaulichkeit. Offenkundig lebt man hier in bescheidenen Verhältnissen, aber mit sich und der Welt zufrieden.
Nicht einmal zwei Stunden später sind wir in Nizza! Hier pulsiert das Leben: mehrspuriger Verkehr auf der Küstenstraße. Man liegt am Mittelmeerstrand in der Sonne oder kühlt sich ab in überfüllten Strandlokalen. Als Motorradfahrer fragen wir uns: Warum sind die Leute bloß alle hier und nicht oben in den Bergen?
Von Nizza aus folgen wir der Küstenstraße ostwärts, Richtung Italien bis nach Genua. Auf dieser Teilstrecke sind reichlich Besichtigungspausen einzulegen. Es geht durch Monaco, Monte Carlo, San Remo u.s.w. Eine unglaubliche Blechlawine wälzt sich – mehr stehend als fahrend – durch die Städte. Neben museumsreifen LKWs und „schnittigen” dreirädrigen Transportern auf der Basis eines Vespa-Rollers finden sich immer wieder Autos, die wir eigentlich nur aus dem Katalog kennen: Bentley, Ferrari, Lamborghini und jede Menge Rollerfahrer im T-Shirt. Phantastisch ist bei strahlendem Sonnenschein immer wieder der freie Blick auf den Strand, die Häfen und das Mittelmeer. In Monte Carlo würden wir gern einmal über die Hafenpassage und durch den Tunnel fahren, durch den einmal jährlich die Formel 1-Rennstrecke führt. Als ich noch versuche, mich entsprechend zu orientieren, zeigt ein freundlicher Polizist bedeutungsvoll auf ein Verkehrszeichen: rund, roter Rand und in der Mitte ein schwarzes Motorrad auf weißem Grund! Wird also nichts mit der Rennstrecke; wir nehmen eine andere Straße in Richtung Menton und verlassen Monaco.
AlpenWir übernachten an der Riviera auf dem Campingplatz Baciccia in Ceriale. Hier nimmt man uns für einen Miniplatz der Größe 4 x 4m 50.000 Lire, d.h. umgerechnet 50,- DM für eine Übernachtung ab! Zu allem Überfluß ist der Boden so hart, daß die Erdnägel beim besten Willen nicht hineinzubringen sind. So postieren wir unsere Motorräder links und rechts neben dem Zelt und binden die Zeltleinen daran fest.
Am nächsten Tag geht es über die Autobahn – natürlich gegen Mautgebühr – nach Genua. Hier ist das innerstädtische Verkehrschaos perfekt. Außerdem haben wir Probleme, aus der Stadt hinauszufinden. Es ist fürchterlich heiß, wir schwitzen unter unseren Helmen, stehen mehr vor roten Ampeln herum, als daß wir fahren und sind schließlich froh, die Durchgangsstraße nach Torriglia gefunden zu haben. Von hier aus geht es über einige sehr gut ausgebaute kleinere italienische Pässe über Piacenza und Cremona weiter bis zum Gardasee, unserer nächsten Übernachtungsstation.
An dem Campingplatz Piani di Clodia in Lazise am Ostufer des Gardasees weist man uns trotz freier Kapazitäten ab, weil wir nur eine Nacht bleiben wollen. Nun können wir natürlich keinen Einfluß auf die Vermietungspraxis dieses Platzes nehrnen, finden aber, daß der ADAC, der diesen Platz empfiehlt, dieses in Zukunft vielleicht gar nicht mehr tun sollte. Freundlich aufgenommen und korrekt bedient werden wir dagegen beim Camping Continental in Bardolino, nur wenige Kilometer nördlich von Lazise. Der Platz ist hervorragend ausgestattet, und für die Übernachtung zahlen wir 29.000 Lire, also kanpp 30,- DM; dies ist angemessen.
Für den nächsten Tag ist nur eine kurze Etappe geplant. Deshalb leisten wir uns eine Nebenstrecke in Richtung Meran, finden auch hier sehr gut ausgebaute kurvenreiche Straßen mit wenig Verkehr. Hier macht das Motorradfahren wieder richtig Spaß. Unsere Route führt uns an Meran vorbei hinauf zum Timmelsjoch (2.497 m). Den Paß kennen wir bereits von mehreren anderen Touren, und als wir über das Joch in das österreichische Ötztal hinabfahren ist es fast, als wären wir zu Hause, obwohl noch rund 1.000 Kilometer vor uns liegen. Im Ötztal haben wir unseren „Stammcampingplatz” in Umhausen (Camp Krismer), den wir sehr empfehlen können.
Den letzten Abschnitt unserer Reise teilen wir in zwei Etappen. Die erste (bis zur Mosel) unterbrechen wir in Sinsheim um ein paar Stunden im Technik-Museum zuzubringen. Eigentlich müßte man sich hier einen ganzen Tag aufhalten. Immerhin ist der Besuch noch einmal ein Highlight unserer Reise.
Insgesamt haben wir auf dieser Reise 3.700 km zurückgelegt, sind um ein schönes Tourenerlebnis sowie ein Fotoalbum reicher und wissen, daß wir im nächsten Jahr wieder los wollen, egal wohin!