aus bma 03/01
von Frank Sachau
Motorrad und Badeurlaub passen nicht zueinander? Wer das glaubt, kennt nicht die Küste der Maler, die Côte Vermeille.
Ostern! Plötzlich denke ich an Blätterkrokanteier und Schoko-Osterhasen. Das muss die Hitze sein, Ende August im nördlichen Spanien. Wir quälen uns auf dem Motorrad durch die engen Straßen von Figueres. Aufgeregt tippt mir Anja auf die Schulter und deutet auf die über zwei Meter hohen Betoneier, die zu Dutzenden das Dach des Dali-Museums verzieren. Jetzt bloß nicht schlappmachen, es sind nur noch 30 Kilometer bis zur Küste. Vor gut zwei Wochen sind wir am Atlantik gestartet, haben die Pyrenäen durchquert, jeden Tag ein neues Hotel gesucht und aus der Gepäckrolle gelebt. Nun steht uns der Sinn nach ein paar Tagen Badeurlaub am Mittelmeer. Das Küstenstädtchen Cadaquès an der Costa Brava ist unser Traum. Nicht nur Dali soll hier gewirkt haben, auch seine Malerkollegen Picasso und Magritte haben in diesem ehemals kleinen Fischerort gelebt und gearbeitet. Ein Albtraum: verstopfte Straßen, qualmende Busse, genervte Autofahrer, Hektik und Lärm überall. Beim Eis auf der Promenade steht uns beiden im Gesicht geschrieben: schnell weg hier!
Dem Chaos entronnen, surfen wir auf der Küstenstraße bergauf und bergab in Richtung el Port de la Selva. Die Costa Brava hängt ständig am rechten Außenspiegel, bis wir hinter Portbou die Grenze überqueren. Bei nächster Gelegenheit lassen wir die Maschine am Straßenrand ausrollen und genießen den 180 Grad-Panoramablick über das Mittelmeer. Hier beginnt die Côte Vermeille! Die rostroten Felsmassen der Pyrenées Orientales stürzen eindrucksvoll ins azurblaue Meer. Steile Klippen, kleine Buchten und tosendes Wasser – ein Naturschauspiel mit ständig wechselndem Programm. Aus unserem Reiseführer erfahren wir, dass vor Beginn des Massentourismus auch hier ein kleines Paradies für Maler war. Das besondere Licht, die idyllischen Fischerorte und die Weinstöcke an den steilen Hängen spendeten jene Atmosphäre, die Künstler wie Picasso, Matisse und Derain schätzten.
Am späten Nachmittag rollen wir durch das wenig einladende Städtchen Cerbère. Der Ort ist Endstation für alle Züge, unterschiedliche Spurweiten der Eisenbahnen zwingen Reisende Richtung Spanien zum Umsteigen.
Die lebhafte Brise frischt deutlich auf, an exponierten Stellen entlang der Küstenstraße aufgestellte Windsäcke sind prall aufgebläht und warnen deutlich vor dem Seitenwind. Auf der Fahrt zum Cap Rederis werden wir mehrmals von einer unsichtbaren Riesenhand gepackt und kräftig durchgeschüttelt. Kein Wunder, bietet unsere Fuhre mit Gepäckrolle, Koffern und Tankrucksack doch jede Menge Angriffsfläche.
Langsam wird es Zeit für die Suche nach einem Hotel. Nicht irgendeins! Nein, was schickes soll es sein, Anja möchte einen Pool, ich will Meeresblick und das Bike ‘ne Garage. Und – als hätte es eine gute Fee gehört – liegt am Ortseingang von Banyuls-sur-Mer plötzlich das Hotel „Le Catalan” (Tel.: 0033 – (0) 468880280, Fax: 0033 – (0) 468881614) vor uns. Nach dem Einchecken und einer ausgiebigen Dusche geht es hinunter an die Strandpromenade. Segelboote und Motorjachten dümpeln im Schutz der Hafenmauer vor sich hin, Palmenblätter rascheln im Wind, Musikfetzen dringen in unsere Ohren, die Luft riecht nach Meer und schmeckt nach Salz. Als die ersten Straßenlaternen angehen, suchen wir uns ein kleines Restaurant und bestellen ein vielversprechendes Menü, dazu gehört natürlich ein hiesiger Rotwein von der „Côte Catalan”.
Am nächsten Morgen lockt uns das Bilderbuchwetter schon früh aus den Betten. Ein für französische Verhältnisse geradezu üppiges Frühstück am Pool ist der Startschuss für den Tag. Wir würden gern hinauf zum „Tour de Madeloc”, einem Superaussichtspunkt, 650 Meter über dem Meer. Die D 86 beginnt gleich hinter der Ecke. Leider zu gefährlich, denn die böigen Winde könnten uns locker von der schmalen, steilen Straße fegen.
Entspannt rollen wir auf der Küstenstraße Richtung Norden und folgen dem Wegweiser nach Port- Vendres. Uns zieht es zum Hafen, hier wird frischer Fisch angelandet, der überall in den kleinen, heimeligen Gassen zum Verzehr angeboten wird. Auf besonders gepflegten Plätzen wird Boule gespielt. Rüstige Rentner polieren ihre tennisballgroßen Kugeln und konzentrieren sich auf den entscheidenden Wurf. Kritische Augenpaare folgen der Flugbahn, halblaute, sachkundige Kommentare folgen, wenn die Kugel ihr Ziel möglichst dicht erreicht. Ein unscheinbarer Wegweiser führt uns auf die kleine Straße rechts am Hafenbecken entlang zum Cap Béar, mit seinem einsamen Leuchtturm auf der schmalen Landzunge. Eine herrliche Gelegenheit, einen Blick auf die Küste und die Straßenkarte zu werfen. Nur wenige Kilometer trennen uns von Collioure, der eigentlichen „Hauptstadt” der Côte Vermeille, der Küste der Maler. Gegenüber vom Schloss liegt das Hotel „Hostellerie des Templiers”, in seinem Inneren haben bekannte und weniger bekannte Künstler jeden Quadratzentimeter Wandfläche mit Bildern versehen, es sollen mehr als 2000 sein. Hier ein Quartier ohne Vorbestellung zu bekommen – aussichtslos!
Apropos Aussicht, wie gut das Verhältnis zwischen Fischern und Geistlichen war, zeigt sich am Doppelspiel der Kirche Notre-Dame-des-Anges. Der Glockenturm dient gleichzeitig auch als Leuchtturm.
An allen Stränden der Côte Vermeille bettet sich der Sonnenanbeter auf Kies, uns steht der Sinn nach schönem weißem Sand. Also satteln wir das Bike und fahren an der Küste hinauf nach Saint Cyprien-Plage. Erst in den Sechzigern wurde dieses ehemalige Sumpfgebiet trockengelegt und eine Retortensiedlung für Zehntausende Touristen gebaut. In den Sommerferien muss hier der Teufel los sein. Der Bayernboxer parkt in Sichtweite am bewachten Badestrand. Raus aus den Lederklamotten, hinein ins kühle Nass.
Ein Motorradfahrer bleibt selten allein – ein Gespannfahrerpärchen mit der kleinen Tochter gesellt sich zu uns. Im Beiwagen ist reichlich Platz für Eimerchen und Schaufel, wir backen gemeinsam Sandkuchen. Man kommt ins Gespräch über das „Woher und Wohin” und so erfahren wir, dass am nächsten der zahlreichen Etangs Hunderte von Flamingos Nahrung suchen. Das Küstengebiet des Golf du Lion ist gespickt mit flachen Brackwasserbinnenseen, der Heimat vieler Wasservögel und Surfer. Die erhaltenen Informationen erweisen sich als goldrichtig – von der Straße aus sind die weiß gefiederten Vögel zu erkennen, wie sie dicht an dicht im Wasser nach Essbarem suchen.
Anja und ich beschließen, den Heimweg anzutreten. Nach unserer Rückkehr in Banyuls-sur-Mer bestätigt sich (wieder) unsere Erfahrung, Reisen statt Rasen bringt einem Land und Leute näher. Unsere Eindrücke haben wir auf Diafilm festgehalten und nicht auf Leinwand. Eigentlich ein Stilbruch an der Côte Vermeille, der Küste der Maler.
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