aus bma 7/10
Text & Fotos: Patric Birnbreier
Die XJR 1300 gibt es schon seit einigen Jahren, das ist nichts Neues. Der luftgekühlte Vierzylinder tat zuvor sogar schon in der 1200er Version seinen Dienst. Dann kam er frisch renoviert mit Einspritzanlage im 2007er Modell daher. Mit Euro-3-Kat und einem Durchschnittsverbrauch von 6,5 Litern hatte Yamaha die XJR für’s Energiesparzeitalter gut gerüstet. Für die Jahrgänge 2009 und 2010 ließen die Japaner das beliebte Modell daher technisch fast unverändert weiterlaufen.
Dafür tat sich am ohnehin schon bärenstarken Auftritt des BigBikes einiges. Das neue Design der XJR erinnert jetzt mehr denn je an die klassischen Superbikes der 70er und 80er Jahre, trotz moderner Stilelemente wie Doppel-Led Rücklicht und dezenter Digitalanzeigen im Cockpit. Mit den auflackierten Startnummern schaut die XJR nun aus, als käme sie geradewegs von einem Einsatz in der AMA-Superbike zum Treff gerollt.

Die XJR1300 ist einfach stark im Auftritt. Ihr Motor gleicht einer Kathedrale. Quasi die Quadriga, sozusagen die Siegessäule des traditionellen Reihentriebwerkbaus, die über ihre brachiale Erscheinung hinaus klassische Luftkühlung mit modernster Technik kombiniert. Vier Ventile je Zylinder, Benzineinspritzung und EXUP-System sind gut für 98 PS und nicht weniger als 108,4 Nm Drehmoment. Mit anderen Worten: Zeitgemäße Technik im klassischen Gewand. Über jeden Zweifel erhaben scheint schon auf den ersten Blick das Fahrwerk zu sein. Auch hier kombiniert Yamaha altbewährtes mit modernem. Ein konzeptionell uralter Zweischleifen-Stahlrohrrahmen mit verstärkter Aluminium-Schwinge, klassisch dimensionierte 43mm Gabel an der Front mit kräftigen Öhlins Dämpfern am Heck sorgen für Stabilität. Beides voll einstellbar, Dreispeichen-Leichtmetallräder und Vierkolben-Monoblockzangen mit schwimmend gelagerten, 298 Millimeter großen Scheiben im Vorderrad sollen für die nachdrückliche Entschleunigung des Vierteltonnen-Gerätes Gewähr leisten. Bei näherer Betrachtung kommen leichte Zweifel auf: Wird die nach heutigen Maßstäben eher sparsam dimensionierten Gabel die Wucht dieses Ziegelsteins wegstecken?
Als Teststrecke haben wir uns, ganz gemein, die kleinen Eifelsträßchen rund um das Städtchen Kyllburg ausgesucht. Dort auf den engen und oft auch huckeligen Straßen, musste die XJR zeigen, dass sie nicht nur auf der Flaniermeile sanftmütig auf der Straße liegt, sondern auch grobe Schläge wegstecken kann. Und tatsächlich weiß die Dicke hier überzeugen. Besonders, wenn man im direkten Vergleich von so brettharten Eisen wie einer Aprilia Tuono, einer Z 1000 oder Speed-Triple auf den sanften Riesen wechselt. Dann schmeichelt das Fahrwerk dem Popometer regelrecht. Die XJR folgt jeder angepeilten Linie willig. Taucht behände in jede gewünschte Schräglage ab und beschleunigte aus jeder Kehre ohne jegliches Rucken, Zucken oder gar Schlagen im Antriebsstrang. Schnelle Schräglagenwechsel sind auch für Grobmotoriker absolut leicht zu realisieren, da sich die vollgetankten fast 250 Kilo im Fahrbetrieb kaum bemerkbar machen. Überhaupt kann ab 40 km/h der 5. Gang einfach drin bleiben, die 1300er zieht sauber und wie am Gummiband getreckt kurz über Standgas los, schon ab 2.000 U/min werden die Arme dann schon langsam lang und länger, der Durchzug des Vierers ist einfach nur Klasse. Dass hier „nur“ 98 Pferdchen am Werke sind mag man kaum glauben – „I have muscles!“ Doch wohin mit dem ganzen Vortrieb? Nach jeder noch so langen Geraden kommt irgendwann die nächste Kehre. Und hier in der Eifel erst recht. Dann muss der turbinenartige Schub schnellstmöglich und verlässlich in Wärme umgewandelt werden. Der große Auftritt der „Goldenen“ ist gekommen: Die Bremserei packt ebenso bissig wie gut dosierbar zu. Klar, dass das Hinterrad dann bei all den nach vorne unten zusammengestauchten Massen schnell zum Blockieren neigt. Echte XJR Fahrer müssen aber auch nicht im Supermoto-Style enge Kehren anbremsen. Darum geht es in der Welt der Muscle-Bikes nicht.
Wer XJR fährt, ist souverän unterwegs. Hat jederzeit reichlich Drehmomentreserven und kann sowohl den linken, wie auch den rechten Fuß schonen. Die Handbremse reicht jederzeit aus, um das Vehikel mehr als ausreichend zu verlangsamen. Wir vermerken im Protokoll, dass sich die XJR brachial, aber gutmütig auf kurzen Wegen zusammenbremsen lässt. So soll es sein. Wer was zum Meckern sucht könnte vielleicht monieren, dass die fehlenden Abdeckungen der Bremssättel freien Blick auf die Bremsbeläge gewähren. Der ein oder andere möge sich hier vielleicht einen Deckel wünschen, wie ihn die echten Klassiker gern zur Schau trugen. Ich finde: Mut zur Lücke kann nicht schaden. Technik darf ruhig sichtbar sein. Und Plastik ist an so einem Bike eh fehl am Platze. Die nun mit drei G-Kats gespickte Auspuffanlage ist schlank, aber dafür recht lang gehalten. Im Styling erinnert sie an die Kerker, oder Vance & Hince Zubehörtüten der 80er Jahre. Das geht in Ordnung. Darüber hinaus gibt die 4 in 1 einen schönen sonoren Ton ab, der für meinen Geschmack allerdings etwas lauter ausfallen dürfte. Bei den Geräuschbestimmungen heute, wahrscheinlich nicht anders zu machen. Obwohl es durchaus Gegenbeispiele aus italienischer Fertigung gibt. Schön ist besonders, dass der Endschalldämpfer nicht wie in letzter Zeit üblich, riesengroß und dreieckig geraten ist. Der Dämpfer ist rundum wirklich gelungen: schön schlicht!
Das Cockpit ist zum Glück weiterhin ebenfalls klassisch schön schlicht gehalten und verzichtet auf all den modernen Firlefanz. Allerdings ist er mit einer kleinen Digitalanzeige bestückt. Diese beinhaltet Tankuhr, Kilometerzähler und zwei Tripzähler. Kann man verschmerzen, wenn man sich vor Augen führt, dass ja gerade die 80er die Hochzeit des Digitalismus waren. Digitale Armbanduhren waren jedenfalls damals ein absolutes Highlight.
Eine kleine Merkwürdigkeit: Die Tankuhr zeigte bei unserem Testbike nach 260 Kilometern wild blinkend das angeblich nahe Ende der Spritvorräte an. Beim Nachtanken fasste das Spritfass dann allerdings nur ca. 16 Liter. Bei 21 Liter Fassungsvermögen, mag das schon etwas merkwürdig erscheinen. Fünf Liter Reserve, die dann noch mal für fast 100 Kilometer bei gemächlicher Gangart ausreichen würden. Also kein Grund zur Panik, wenn es mal leuchtet.
Auch für die größere Tour eignet sich die XJR. Mehrere Befestigungspunkte, zwei davon zum Ausklappen für Spannriemen und auch ein Metalltank, der heute längst nicht mehr selbstverständlich ist, für die Befestigung des Magnettankrucksacks, erfreuen den Tourenfahrer. Ebenso ein Staufach unter der Sitzbank für Regenkombi und Bordwerkzeug. Die Sitzposition ist auch für längere Strecken in Ordnung. Naked Bike typisch wird’s ab 160 km/h aufwärts bei der aufrechten Sitzposition durch den Winddruck etwas anstrengend. Für den Autobahnheizer gibt es im Zubehör aber bestimmt die ein oder andere Tourenscheibe oder Lenkerverkleidung für die XJR zu erstehen.
„Fahr”zit
Einstellbare Handhebel, Leichtmetallschwinge, saubere Verarbeitung toller, durchzugsstarker Motor, hochwertiges Fahrwerk, genial sportliche Retro-Optik und einen Preis von 10.990 Euro machen die XJR 1300 zu einem perfekten Bike für Liebhaber der klassischen Linie, die nicht auf Errungenschaften der heutigen Technik, wie Einspritzanlage und Kat verzichten wollen.
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Kommentare
4 Kommentare zu “Yamaha XJR 1300 Mod. 2010”
XJR 1300
Die neue mit einem Auspuffrohr gefällt mir um Welten besser darum habe ich das neue Model gekauft.
bin froh das es solche Motorräder noch gibt,
ein wirklich klasse Bike,fahre das 2008 Model jetzt seit 15000 km.
und bin immer noch so verliebt wie auf dem ersten Meter….
Was der neuen fehlt wie auch schon bei der PR 19 ist das linke Endrohr.
Fahre eine RP 10 und die hat zwei Endrohre so wie es sein sollte.
Mit Richtigen guten Sound 😉
Gruß Horst
Gut dass…
… es noch solche Motorräder gibt, die auch tatsächlich wie ein Motorrad aussehen. Wenn ich mal von einer Sevenfifty umsteigen sollte, die XJR hätte gute Chancen.