aus Kradblatt 12/24 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Ein tödlicher Unfall und die Haftungsfrage …

Immer wieder kommt es zu Unfällen mit Linksabbiegern. Häufig geht es dabei um eine Kollision mit einem Überholenden. Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein hat unlängst mit Urteil vom 16.04.2024 (Aktenzeichen: 7 U 91/23) jedoch über einen anderen Fall mit tragischem Ausgang entschieden. 

Ein mit zu hoher Geschwindigkeit fahrender Biker wurde von einem entgegenkommenden Autofahrer übersehen, der nach links abbiegen wollte. Wegen einer Baustelle waren 50 km/h erlaubt, der Biker beschleunigte bei einem Überholvorgang auf 109 bis 124 km/h. Der Abbiegende wusste um die baustellenbedingte Geschwindigkeitsbegrenzung, hatte die Geschwindigkeit des Motorrades zu niedrig eingeschätzt und mit dem Abbiegen begonnen, weil er annahm, dass dies gefahrlos möglich wäre. Der Motorradfahrer leitete eine Vollbremsung ein, verlor die Kontrolle über seine Maschine, stürzte, kollidierte mit dem Pkw und verstarb aufgrund seiner schweren Verletzungen noch an der Unfallstelle. Seine Hinterbliebenen klagten. 

Das Landgericht Kiel nahm eine Haftungsquote in Höhe von 65 zu 35 zu Lasten des beklagten Autofahrers an. Der Beklagte legte dagegen Berufung ein und wollte eine Alleinhaftung des Bikers erreichen. Das Oberlandesgericht sprach eine Haftungsteilung mit einer Quote von 50 zu 50 aus. Das Gericht nahm eine Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der unfallbeteiligten Fahrzeuge vor.

Es warf dem Autofahrer einen Verstoß gegen §9 Absatz 3 Satz 1 Straßenverkehrsordnung vor, wonach derjenige, der abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen muss. Der Beklagte hatte das Motorrad vor dem Unfall gesehen. Bei genauerem Hinschauen hätte er erkennen können, wie schnell das Motorrad wirklich war. Dabei kam es nicht darauf an, dass der Autofahrer angab, er hätte nur das Licht wahrgenommen. Der Beklagte hätte, so das Oberlandesgericht, neben dem wahrgenommenen Licht des Unfallgegners auch aus der Veränderung der Abstände der Fahrzeuge zueinander bei gehöriger Aufmerksamkeit Rückschlüsse auf die hohe Geschwindigkeit des Entgegenkommenden ziehen können. Bei Aufbringen der erforderlichen Sorgfalt hätte er auf das Abbiegen bis zur Durchfahrt des Bikers verzichten müssen.

Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein erklärte aber, dass die erhebliche erhöhte Geschwindigkeit des Motorradfahrers im Rahmen der Abwägung stärker zu berücksichtigen ist, als es das Landgericht Kiel angenommen hatte. Dies führte zu einer hälftigen Teilung der Haftung. 

Das Oberlandesgericht führte aus, dass die erheblich – mindestens um 59 km/h – überhöhte Geschwindigkeit nicht nur ursächlich zum Unfall beigetragen hatte, weil der Unfall für den Biker bei Einhaltung der vorschriftsgemäßen Geschwindigkeit vermeidbar gewesen wäre. Die Schwere eines Unfalls kann sich zudem in Abhängigkeit der Geschwindigkeiten der beteiligten Fahrzeuge erhöhen. Wäre der Motorradfahrer mit angemessenem Tempo gefahren, wären die Schäden geringer ausgefallen.

Die deutlich zu hohe Geschwindigkeit des Unfallgegners führte allerdings nicht – wie von dem Autofahrer gewünscht – zur Annahme dessen Alleinverschuldens. Es war vielmehr eine Abwägung der Haftung vorzunehmen, die nach der Auffassung des Oberlandesgerichts Schleswig-Holstein zu einer gleichmäßigen Verteilung führte. In die Bewertung floss übrigens nicht ein, dass die Bauarbeiten zum Zeitpunkt des Unfalls bereits abgeschlossen waren und an der Stelle ohne die Baustelle 100 km/h erlaubt sind.

Eine zu hohe Geschwindigkeit – hier mehr als doppelt so hoch, wie zum Unfallzeitpunkt zugelassen – führt nicht automatisch zu einem Alleinverschulden. Dennoch sollten wir uns an die Geschwindigkeitsbegrenzungen halten. Der vorliegende Fall zeigt wieder einmal, dass Zweiradfahrer bei Verkehrsunfällen in aller Regel zumeist die größeren Schäden davontragen, hier leider mit tödlichem Ausgang. Kontrolliertes und aufmerksames Fahren kann daher nicht nur das eigene Leben retten, sondern Angehörige auch vor Kummer bewahren.