aus bma 05/02
von Klaus Herder
Einem Motorrad ausgerechnet den Charakter eines Automobils zuzuschreiben, mag etwas an den Rädern herbeigezogen wirken. Es geht trotzdem: Die Honda Hornet 900 ist der Mazda MX-5 der Zweiradszene. Dieser Vergleich mit einem der weltweit erfolgreichsten Cabrios darf dabei getrost als ganz großes Lob verstanden werden. Doch der Reihe nach: Der MX-5 hat ein klares formales Vorbild, den Lotus Elan der späten 60er Jahre. Das Design-Vorbild der Hornet 900 ist die kleine Hornet. Und damit ist nicht nur die 1998 präsentierte 600er gemeint. Bereits zwei Jahre zuvor sorgte in Japan die Hornet 250 für Furore. Ein frisches Design, die ungeheure Handlichkeit und die Beschränkung aufs Wesentliche machten die kleinen Hornissen ziemlich erfolgreich. Von der 250er verkaufte Honda in Japan über 23.000 Stück, die 600er dürfte in Europa stückzahlmäßig mittlerweile die 60.000er-Grenze überschritten haben. Bei den nackten Big Bikes hatte Honda bislang dagegen nicht ganz so viel Glück. Die CB 1000 kam zu früh, war zu fett, zu bieder und zu teuer. Die X-11 ist bärenstark, aber zu futuristisch und preislich ebenfalls jenseits von gut und böse.
Bei der Hornet 900 hatte Honda nun verständlicherweise keine Lust auf Experimente und steckte einfach einen erfolgreichen Big Bike-Motor in ein nicht minder erfolgreiches Mittelklasse-Fahrwerk. Der flüssigkeitsgekühlte Vierzylinder-Reihenmotor ist tatsächlich ein guter alter Bekannter. Der Vierventiler stammt aus dem 1998er-Modell der CBR 900 RR. In der legendären Fireblade leistete der Kraftmeier allerdings 130 PS und war mit Gleichdruckvergasern bestückt. Für den Einsatz im Hornet-Gewand bekam der 919 ccm große Kurzhuber eine modifizierte Version des neuesten Honda-Einspritzsystems PGM-FI spendiert. Die Einlasskanäle mussten sich eine Überarbeitung gefallen lassen, zahmere Steuerzeiten und eine von 11,1 auf 10,8:1 zurückgenommene Verdichtung taten ein Übriges, dass am Ende eine bei 9000 U/min anliegende Nennleistung von immer noch prallen 109 PS herauskam (max. Drehmoment: 91 Nm bei 6500 U/min). Die Leistungsrücknahme in der Spitze hatte das Ziel, den Punch im unteren und mittleren Drehzahlbereich zu erhöhen und vor allem die Gasannahme zu perfektionieren. Um es vorweg zu nehmen: Diese Aktion gelang vollauf.
Der Motor steckte bei der Fireblade in einem Leichtmetall-Rahmen, bei der Hornet 900 kommt ein Zentralrohrrahmen aus Stahlrohr zum Einsatz. Das aus Rechteckprofilen zusammengebratene Teil (richtig gelesen: zusammengebraten – das Ding ist stabil, aber wahrlich keine Augenweide) heißt im Honda-Sprachgebrauch „Mono Backbone Diamond Frame” und entspricht in Aufbau und Gestaltung dem der 600er Hornet. Die Wandstärke der Profile beträgt allerdings 2,3 statt 1,6 Millimeter, und auch der Lenkkopf wurde verstärkt. Der Standrohrdurchmesser der konventionellen Telegabel legte von 41 auf 43 Millimeter zu, die Aluschwinge geriet minimal länger. Der Radstand wuchs von 1425 auf 1460 Millimeter. Die Federvorspannung des Zentralfederbeins lässt sich siebenfach variieren. Mehr Einstellmöglichkeiten bieten die vorn mit 120 und hinten mit 128 Millimetern Arbeitsweg versehenen Federelemente auch nicht. Räder und Reifen entsprechen denen der Hornet 600, die mit ihren 17-Zöllern im Format 120/70 vorn und 180/55 hinten ja bereits auf fetten Big Bike-Gummis rollte.
Honda wäre allerdings nicht Honda, wenn dann nicht doch ein paar Modifikationen fällig gewesen wären. So legten die Radachsen der Hornet 900 im Vergleich zur 600er kräftig zu. Der Tank fasst 19 anstelle von 16 Litern Normalbenzin, und trotzdem wiegt die Hornet 900, mit vollgetankt gerade mal 219 Kilogramm, nur elf Kilo mehr als ihre kleine Schwester. Die ganze Maschine wirkt ungemein kompakt und als Unterscheidungsmerkmal zur 600er erkennt man beim flüchtigen Hinschauen eigentlich nur die beiden „Centre-Up-Schalldämpfer” – die 600er bekam nur einen hoch. Der mit einem ungeregelten Katalysator (plus Sekundärluftsystem) bestückte Auspuff ist übrigens ein Meisterwerk der Rohrbiegekunst – das Gewürm ist eine Vier-in-zwei-in-eins-in-zwei-Anlage. Und aus der tönt es ziemlich kernig und böse. Nicht laut, aber trotzdem aggressiv.
Der angenehm schmale Rohrlenker liegt perfekt in der Hand, die Lenkergriffe sind etwas näher in Richtung Fahrer platziert als bei der 600er. Die Fußrasten wurden dafür 20 Millimeter weiter vorn montiert, die Sitzhöhe legte von 790 auf immer noch geringe 795 Millimeter zu. Die Hornet 900 ist ergonomisch ohnehin das perfekte Big Bike für kurze bis mittelgroße Menschen. Fahrer über 1,85 Meter Länge sind auch nicht unbequem untergebracht, kommen sich möglicherweise aber etwas deplatziert vor. Aber keine Angst, das ist rein psychisch.
Sobald die etwas lange Warmlaufphase abgeschlossen und der links unten, direkt an der Einspritzanlage montierte Kaltstarthebel zurückgeschoben ist, offenbart die Hornet 900 ihren durch und durch erwachsenen Charakter. Jede noch so kleine Bewegung am Gasgriff wird in sehr, sehr spontanen Vortrieb umgesetzt. Die Gasannahme ist einfach perfekt. Null Verzögerung, kein Hänger – einfach nur Gaaas. Der Umgang mit Kupplung und Getriebe ist ebenfalls der reinste Genuss. Die Gänge lassen sich knackig und exakt einlegen, die Dosierbarkeit der leichtgängigen Kupplung ist top. Es ist übrigens kein Zufall, dass dem Autor ausgerechnet an dieser Stelle wieder der MX-5 einfällt.
Doch weiter mit der Honda: Die kurze Übersetzung sorgt dafür, dass man sehr schnell im sechsten und letzten Gang angelangt ist. Und nun kommt es zum Interessenkonflikt zwischen links unten und rechts oben: Der Schaltfuß möchte nur allzu gern noch etwas länger im tollen Getriebe rühren, die Gashand will sich dafür auf eine ziehende Bewegung beschränken. Meistens gewinnt die Gashand, denn das Insekt zieht tierisch durch. Die 900er bleibt immer und überall an weitaus hubraumstärkeren Naked Bikes dran, ohne dass hektisch geschaltet werden muss. Ab 1500 U/min ist sie uneingeschränkt vollgastauglich, ab 6000 U/min muss man sich noch sehr viel mehr festhalten, als man es ohnehin schon tut, ab 8500 U/min wird’s nur noch brutal. Der verbleibende Drehzahlbereich (ab 9500 U/min zeigt der Drehzahlmesser Rot) ist im Grunde genommen waffenscheinpflichtig und wird in der Praxis so gut wie nie benötigt. Die klassische wie nutzlose Sprintprüfung von 0 auf 100 km/h bewältigt die Hornet 900 übrigens auch in einer supersportlichen Zeit: glatte drei Sekunden, viel weniger geht rein physikalisch nicht. Feierabend ist übrigens bei Tacho 240, was echten 230 km/h entsprechen dürfte. Für ein unverkleidetes Motorrad dürfte das gerade so eben reichen.
Doch das wahre Hornet-Revier ist natürlich nicht wirklich die A7 in Richtung Dänemark. Sie jagt am liebsten auf sehr kurvigen Landstraßen. Doch bevor die berufsbetroffenen Leserbriefschreiber wieder zur Feder greifen („martialische Sprache, Aufforderung zum Verkehrsverstoß”), sei hier klargestellt, dass das mit der Hornet 900 auch im völlig legalen Bereich bestens funktioniert. Die Mittel sind dabei so einfach wie wirkungsvoll: später bremsen, früher Gas geben. Alles, was dazwischen liegt, also Einlenken, Abwinkeln, Aufrichten macht die Hornet 900 praktisch von allein. Es gibt jenseits von 750 Kubik momentan wahrscheinlich kein handlicheres Naked Bike als dieses Spielmobil. Es ist einfach unglaublich, was selbst Durchschnittsfahrer mit diesem Gerät alles anstellen können. Wer immer schon mal am Samstagnachmittag die Geduckten ärgern wollte, ist mit der Hornet 900 bestens bedient. Bremsen und Federelemente, Schräglagenfreiheit und Reifenhaftung (Bridgestone BT 56) passen hervorragend, da gibt’s einfach nichts zu meckern. Für die Drei-Klicks-offen-Fraktion ist die Hornet 900 schließlich nicht gemacht, die Zug- und Druckstufenkasper werden von der Hornet 900 höchstens aufgeschnupft. Und das mit einer sportlich straffen, aber nicht unkomfortablen Grundabstimmung. Wer den Schnauzbartträgern mit ihren aufgeblasenen Dreiern und Fünfern oder den dynamischen Vertretern im A4 oder A6 zeigen will, wo der Kurvenhammer hängt, sollte übrigens MX-5 fahren.
Womit wir bei einer weiteren Parallele wären: dem Preis-/Leistungsverhältnis. Für die Hornet 900 wie für den Mazda MX-5 gilt, dass zu einem sehr fairen Preis sehr gute Fahrleistungen, unglaublich viel Fahrspaß und perfekte Handlichkeit, absolute Alltagstauglichkeit und Zuverlässigkeit sowie eine durchweg sehr ordentliche Verarbeitung geboten werden. Beide brauchen zudem relativ wenig Sprit (Hornet 900: um die sechs Liter). Die Ausstattung ist bei beiden nicht gerade üppig, aber guter Standard. Die Hornet 900 kostet 8790 Euro plus Nebenkosten. Der MX-5 kostet 11.000 Euro mehr. Aber der hat ja schließlich auch zwei Räder mehr.
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Kommentare
4 Kommentare zu “Honda Hornet 900 (Mod. 2002)”
Wie von Klaus Herder gewohnt, ein toller Bericht, der eigentlich mehr Geschichte als Bericht ist. Ich habe jeweils die erste Version der Hornet 600 (PC34) und 900 (SC48). Tolle Motorräder in einem Design, das hinreißend ist mit einer Technik, die mich auch heute, 2025, noch begeistert. Übrigens kann man den „Kaltstarthebel“ getrost ignorieren und kalt wie warm, auch sehr kalt bis sehr warm, komplett ignorieren. Der würde eh einfach nur die Drehzahl anheben, das Gemisch regelt der Einspritzer ja allein.
Der rotzig freche Klang der Hornet wird übrigens noch durch eine serienmäßige Klappe im Ansaugtrakt begünstigt, die bei etwa 3000 Umdrehungen öffnet. Wie Klappenauspuff, nur anders herum 😇 Der Motor hat bei jeder Drehzahl enorm Druck und zieht untenrum schön bärenstark an. Dasmacht, ob man sportlich unterwegs ist oder nicht, einfach Laune.
Zwei, drei negative Punkte muss man aber erwähnen. Erstens, die Underseat-Auspuffanlage sorgt unausweichlich dafür, dass beide, Fahrer und Mitfahrer, erbärmlich nach Abgasen riechen -auch später die Jacke an der Garderobe. Zweitens ist die Sitzbank glatt und schwach konturiert, was in Verbindung mit dem drehmomentstarken Motor für ein krampfhaftes Abstützen auf den Rasten sorgt. Eine vernünftige Sitzbanküberarbeitung mit rutschfestem Bezug und/oder konturierter Form macht aus dem sehr guten Motorrad ein fantastisches. Und zuletzt ist auch der sehr breite 19 Liter-Tank, anders als bei der 600er, für eine gewisse Unruhe an windigen Tagen verantwortlich. Dann nämlich erfasst der Wind die Fahrerknie und hebelt dadurch am Motorrad herum. Der schlanke 600er-Tank kennt dieses Problem nicht.
Ein absolut grandioser
Bericht, endlich ein Autor der nicht nach Fakten sondern dem Motorradfaherer aus der Seele spricht und troztdem das Wesentliche nicht aus den Augen läßt.
Dieser Beitrag nur Genial. Selten Fachkompetenz und Still so harmonisch vereint erlebt.
Was für ein genialer Bericht. Die Hornet trifft genau meine Wünsche was das Motorrad fahren angeht, wieso habe oder hatte ich noch keine?
Das muss ich nächste Saison ändern falls es unsere Politik noch zulässt.
Wunderbar geschriebener Bericht.