aus bma 10/02 von Helmut Grigull
Für die einen ist es Schnee von gestern, schließlich erlauben die Finanzen grundsätzlich nur neueste Modelle; für die anderen kommt solch ein Krad allein schon wegen der Abmessungen nicht in Frage. Und dann gibt es noch jene Flagellanten, die meinen, patriotisch denken zu müssen, sich deshalb selbst bestrafen und den Zugriff auf Japaner verweigern, sowie nicht zuletzt vielleicht noch diejenigen, die immer schon hinter einem Tourer hergeierten, aber vom chronischen Geldmangel gebeutelt in der Gewissheit litten: So ein Ding ist leider zu teuer. Für die Kleinverdiener ohne Fernostscheu gibt es nun einen Hoffnungsschimmer. Ist erst einmal ein Nachfolgemodell in Sicht, sollte zumindest theoretisch der Gebrauchtmarkt mit erschwinglichen Exemplaren bestückt sein. Die Rede ist von der Honda ST 1100 Pan European. Sie ist ein solides Stück Zweirad mit allen Zutaten, die weiteren Jahre zu überdauern. Weil die Designer damals auf allzu modische Schickimickis verzichteten, ist das Ergebnis auch heute noch recht ansehnlich. Unter anderem war auch die äußere Erscheinung für mich ein Kaufargument. Da hat jemand wirklich gestaltet und nicht nur aneinandergeschraubt. Kein optisches Stückwerk aus dem Baukasten, kein zerklüftetes Sammelsurium von High-Tech Komponenten. Die Pan European ist eine Maschine aus einem Guss.
Pflegeleicht ist die ST außerdem, und das betrifft nicht nur die Technik, sondern auch die schmucke Hülle. Putzfaule Gestalten wie ich haben sich nach wenigen Minuten dank glatter Oberflächen der Reinigungspflicht entledigt. Geschrubbt wurde früher schließlich schon genug an anderen Karren. Der optisch-putztechnische Vorteil hat natürlich seinen Preis: Der heißt Plaste und Elaste. Wer Heavy Metal vorzieht, wird dieses Krad zutiefst verachten. Ebenso die Fans der unverhüllten Mechanik. Bowdenzüge, Schläuche, Kabel und ähnliches Gerümpel sind ohne Abbau der Verkleidung nicht zu finden. Aber warum auch? Bislang hatte ich weder Verlangen noch Anlass, außerhalb der jährlichen Wartung zu basteln. Manche Mopeds können keine Saison ohne Eingriff überdauern, bei der Honda blicke ich auf neun bastelfreie Sommer zurück. Selbst die Batterie hat bisher durchgehalten. Aber wollen wir es nicht beschreien. Die Angst vorm Fehlerteufel fährt mit. Mengen nie gesehener elektrischer Helferlein werkeln im Verborgenen. Ebenso verborgen im Unterbewusstsein dämmert das Wissen um die Existenz eines Kurvenlagewinkelsensorrelais, eines TCS-Fahrtantritts-Selbstdiagnosesystems und ähnlicher Elektronik-Schmankerls. Ein schlapper Wackelkontakt, eine lose Strippe, ein lustloser Halbleiter würde den Ausfall aller Vitalfunktionen bedeuten. Übrig bliebe eine Sechs-Zentner-Taschenlampe.
Panik beiseite – mit jedem störungsfreien Kilometer wächst das Vertrauen in die Kunst der Ingenieure. Fast vergisst man selbstverständliche Wartungen. So ist zum Beispiel bei 24.000 Kilometern laut Betriebsanleitung eine Kontrolle der Ventile erwünscht. Es blieb beim Kontrollieren, eingestellt werden brauchte nichts.
Ganz anders fiel allerdings die erste Inspektion bei Kilometerstand 1500 aus. Aus Gründen der Garantieerhaltung durfte nur eine autorisierte Fachwerkstatt Hand anlegen. Und die hat richtig Gas gegeben, zumindest auf der Rechnung. Auf der stand unter anderem: Ventile einstellen, Zündkerzen wechseln… dass man Öl nach dem Einfahren tauscht, war mir schon klar. Aber was hatte die Kerzen in so kurzer Zeit umgebracht? Das Stück kostet immerhin an die 20 Märkerchen, da darf man schon mal fragen, wo die alten geblieben sind. Darauf angesprochen, wühlte der Schrauber jener Fachwerkstatt in einer öligen Mülltonne, doch da waren nur Putzlappen und anderer Gammel. Es beschleicht mich der Verdacht, dass die Kerzen von Moped A nach Moped B gewandert sind, sofern sie denn überhaupt angefasst wurden. Ebenfalls skeptisch sehe ich das vermeintliche Einstellen der Ventile.
Abgehakt.
Genug der Theorie, kommen wir zur Praxis. Berührt der rechte Daumen den Starter, darf ein baldiges Schnurren im Maschinenraum erwartet werden. Startprobleme sind unbekannt, auch nach der Winterpause erwacht der Motor ohne langes Orgeln. Bei normaler Witterung kann der Choke nach wenigen Metern Strecke verschwinden. Schlechtwetterfans müssen sich bis zum zweiten Gang gedulden, dann dürfen auch sie den Hebel am Lenker wegdrehen. Ohne Fisimatenten geht’s voran. Kein Humpeln, keine Löcher, aber auch keine Leistungsexplosion. Kritiker attestieren autoähnlichen Charakter bzw. gar keinen. Ich persönlich habe mich leicht damit abfinden können. Das Ausbleiben ungewollt kritischer Momente entspricht meiner Weltvorstellung. Für eigenwilliges Verhalten und Zickigkeiten ist bei mir wer anderes zuständig.
So dreht das gute Stück nahtlos bis an die Achter-Marke. Was danach passiert, habe ich noch nicht ausprobiert. Anschluss für den nächsten Gang ist wesentlich früher da. Mehr als 5000 U/min kommen normal nicht auf. Die Untergrenze bildet der 2000er-Strich. Darunter geht’s zwar auch vorwärts, aber die Leistung ist eher eingebildet. So habe ich anfangs ab und an das gute Stück abgewürgt, weil ich meinte mit Leerlaufdrehzahl anfahren zu müssen, wie ich es aus alten Guzzitagen mit satter Schwungmasse her kannte. Ist dabei der Lenker eingeschlagen, bekommt das Gefährt eine unrettbare Schräglage. Da hilft nur noch der Sprung von Bord, zu halten ist dann nichts mehr. Im Gegenzug verwöhnt das Fernbleiben bewegter Massen durch zwirbelnd vibrationsarmen Lauf und recht freudige Gasannahme. Die amtlich bescheinigte Ausbeute von 98 Pferden bei 1100 Kubik ist heutzutage natürlich kein Highlight mehr. Dennoch genügt das für anständiges Fortkommen. Auch bei voller Beladung ist noch genug Saft vorhanden, um die blechüberdachte Fraktion auf Distanz zu halten. Zur Spitzengeschwindigkeit erklärt der Tacho 220 km/h. Bis 140 fühlt sich die Sozia wohl, darüber gibt es Haue. Im Soloeinsatz sind Tempo 160 als Dauergeschwindigkeit gut erträglich. In Kombination mit dem großen Tank und einem nichtrauchenden Fahrer ohne Inkontinenz sind anständige Tagesstrecken möglich.
Die Kupplung wirkt hydraulisch bei angenehmen Handkräften. Im Handbuch ist von zehn Reib- und neun Stahllamellen die Rede. Meinetwegen. Der Kupplungskorb sitzt an basteltechnisch günstiger Stelle, nämlich vor dem Motorblock. Mir wurscht, auch das musste nie in der Praxis erprobt werden und ist nur vom Handbuch bekannt. Die Schaltung klockt präzise in jenen Gang, den man erwartet. Der Leerlauf ist genau dort, wo ihn die grüne Funzel anzeigt, also kein Herrumstochern wie im Kantinenessen. Wer einen sechsten Gang vermisst, muss ein Schaltfetischist sein. Die gebotenen fünf reichen allemal.
Der Um-den-Block-Fahrer, der nur eine Schachtel Glimmstengel holt, braucht ihn nicht, der Tourer schon: Stauraum. Er reicht für eine Zwei-Personen-sieben-Tage-Tour. Zwei Kleinkramfächer in der Verkleidung und Platz für eine Regenkutte unter der Sitzbank sind ebenso an Bord wie Koffer. Freundlicherweise hat man an den Rahmen unterm Lenkkopf und hinter dem Pseudotank Führungsösen geschweißt. Die erlauben den Einsatz eines ganz normalen Tankrucksacks mit Riemen.
Voluminös präsentiert sich auch die Sitzbank. Dort herrscht angenehme Distanz zwischen der Besatzung. Nicht dass ich ungern mit meiner Sozia kuschel, aber beim Schalten müssen nicht dauernd die Helme aneinander ditschen. Die Beinhaltung erlaubt auch dem angegrauten Piloten krampffreies Schalten und Bremsen. Alles ohne artistische Einlagen. Die Sitzposition ist aufrecht, recht hoch und daher dem Vorausblick über die Blechlawine vor der Nase förderlich.
Für den Lenker wünsche ich mir allerdings eine Einstellmöglichkeit. Die Haltung der Hände ist leider ein für allemal vorgegeben. Immer am Anfang der Saison durchleben meine Handballen eine Gewöhnungsperiode.
Ein zweites Manko: Die Scheibe ist nicht verstellbar. Das gibt es woanders tatsächlich besser. Bei Hitze würde man das Ding gerne mal abtauchen lassen. Immerhin hält sie den Regen eine Weile auf. Kleine Schauer übersteht man ganz gut. Ist die Scheibe bei Schönwetter zu lang, so ist sie sonst eher zu kurz: Brummer sausen gern in den geöffneten Helm. Genau dort landen auch die Windgeräusche. Mag sein, dass ich zimperlich bin, aber Fahrten über 30 Minuten finden nur mit Ohrenstöpsel statt. Eine verlängerte Scheibe von Five Stars verbesserte die Situation etwas, doch nicht wesentlich. Insgesamt schüzt die Verkleidung aber recht manierlich vor Fahrtwind und Spritzern. Wenn allerdings der Regenfilm auf der Straße durchgehend wird und man es zischen hört, darf sich der Pilot von seinen trockenen Socken verabschieden. Leider sind heizbare Handgriffe nicht serienmäßig, bei norddeutschem Pieselwetter aber unentbehrlich. Also wurde nachgerüstet.
Positiv ab Werk wiederum ist der Tank. Der liegt in der Versenkung und macht nur selten von sich reden. Über 400 Kilometer lang darf man ihn ignorieren, dann macht ein rotes Lämpchen klar, dass gebunkert werden sollte. Eine Benzinuhr gibt es obendrein. Sozialverträgliche fünf, sechs Liter Normalbenzin sind pro 100 Kilometer fällig. Insgesamt 28 Liter müssen verblasen werden, ehe die Benzinpumpe trocken fällt.
Der Hinterreifen macht 12.000 Kilometer, der vordere hält an die 4.000 länger. Gebremst wird hinten auf einer, vorn auf zwei Scheiben. Die Anti-Schlupfregelung und ABS mögen viele belächeln, aber auch die automatische Zündverstellung und das Wegfallen von Zwischengas haben sich irgendwann durchgesetzt. Die Beläge haben über 30.000 km gehalten, was sicherlich auf das Konto meiner bescheidenen Fahrweise geht.
Das hintere zentrale Federelement kann in der Federspannung und der Dämpfer in der Härte reguliert werden. Wer Tritte in den Allerwertesten liebt, kann sich den Hosenboden prügeln lassen, und wer’s sanft wünscht, wird auch anständig bedient. Die Telegabel wird mittels Ventil halbwegs am Bremstauchen gehindert; meinetwegen könnte sie sogar gerne noch weicher sein.
Ein ohne Zweifel bitterer Tropfen ist das Gewicht. Ohne Zutaten bringt die Pan European 330 Kilo, mit vollem Getöse eine halbe Tonne auf die Waage. Das ist heavy. Im Fahrbetrieb unbemerkt, kommt mit sinkender Geschwindigkeit die Masse zur vollen Geltung. Bevor man einparkt, sollte man sicher sein, dass es vorwärts wieder auf die Straße geht. Rückwärts wegziehen, besonders am Gefälle, ist eine Schinderei. Da kommt schnell der Gedanke an einen Rückwärtsgang auf. Noch übler ist es, wenn man anhält und in eine Kuhle tritt. Schon eine popelige Senke von wenigen Zentimetern reicht aus, um Mann und Maus vom Sockel zu reißen. Ist das Bein nicht mehr lang genug, geht die Maschine unaufhaltsam dem Erdkern entgegen. Der frustrierte Pilot wird Zeuge, wie die Gravitation ihr unheilvolles Werk trotz heftiger Gegenwehr im Zeitlupentempo vollendet. Das scheint der Hersteller zu wissen, denn vorausahnend lässt er an den Seiten jeweils einen mit grauer Kunststoffschale getarnten Sturzbügel hervorlugen. Genau darauf ruht dann auch das hingeschmissene Moped. Sollte es dabei einen Spiegel erwischen, ist seine Hülle dank ausklinkbarer Metallnippel in der Lage auszuweichen. Am unerwünschten Entfernen vom Unfallort wird er nebst Blinker mittels Bändsel gehindert. Die Koffer kommen ebenfalls ganz gut davon, wenn man von Kratzern mal absieht. Um den Trumm wieder aufzurichten, ist natürlich viel Kraft angesagt. Untrainierte Umfaller sollten besser ein Bruchband in der Bordapotheke mitführen.
Sollte es eines Tages mal eine Light-Version aus Alu, Karbon und ähnlichen Werkstoffen geben, wäre das der Augenblick, an dem ich nochmal einen finanziellen Aderlass ins Auge fassen würde. Bis dahin werde ich weiter Plasteschalen an den Sturzbügeln erneuern und auf das Ableben der Batterie warten. So dachte ich zuletzt. Und dann das! Noch während ich am literarischen Feinschliff arbeite, fällt mir die Ankündigung des Nachfolgemodells in die Finger. Mit all den Verbesserungen, die ich so gern hätte, und noch ein paar mehr. Das kann nur heißen: Ich hätte da ein Moped zu verkaufen…
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Kommentare
2 Kommentare zu “Honda ST 1100 Pan European”
Den Artikel habe ich bestimmt schon 10 x gelesen und bin jedes Mal wieder am Schmunzeln. Der Fahrbericht beweist, dass Informationen über ein Motorrad nicht „trocken“ sein müssen. Die inhaltlich absolut treffenden Infos über die „dicke Dame“ kann ich selber bis ins Detail bestätigen.
Weiter so…
Danke für die Blumen!
Nachdem ich inzwischen mehrmals umgestiegen bin, bastel ich derzeit an einem Bericht über die CTX.
Horrido!