aus bma 12/96
von Klaus Herder
Es hat ein bißchen länger gedauert, aber nun haben es auch die Herrschaften von Kawasaki kapiert: in der Neu- und Wiedereinsteigerklasse der 500er verkauft sich Schwarzbrot besser als Sahneschnitten. Zu dieser Erkenntnis genügte die Lektüre der Zulassungsstatistik.
Honda und Suzuki schafften mit jeweils nur einem 500er-Modell, was Kawasaki mit gleich drei Eisen im Feuer nicht fertigbrachte: eine Plazierung in den Top-Ten der Verkaufs-Hitparade. Neben dem Chopper EN 500, dem Funbike KLE 500 und dem Sportler GPZ 500 S soll nun ab sofort die ER-5 für ordentliche Kawasaki-Stückzahlen in der Halbliterklasse sorgen.
Um gegen die Platzhirsche Honda CB 500 und Suzuki GS 500 E anstinken zu können, bedurfte es vor allem einer Maßnahme: der radikalen Preissenkung. Damit der Einstiegs-Tarif von 9.990 Mark (GPZ 500 S) auf 8.490 Mark (ER-5) gedrückt werden konnte, nutzen die Kawasaki-Verantwortlichen einfache Hausmittel: Weglassen, Vereinfachen und nicht zuletzt den Griff in den Baukasten. Weggelassen wurde die Halbschalenverkleidung samt Bugspoiler, die zweite Bremsscheibe im Vorderrrad, einer von zwei Auspufftöpfen und das Rundinstrument für die Kühlmitteltemperaturanzeige. Vereinfacht haben die Japaner die Hinterradbremse (Trommel statt Scheibe), den Rahmen (Rundrohr statt Rechteck-Profil), die Hinterradfederung (zwei Federbeine statt Zentralfederbein) und einige Kleinigkeiten (Handhebel nicht mehr verstellbar, Einfachst-Tankdeckel).
Am leichtesten war wohl der Griff ins Teileregal, denn dort lag der bewährte Zweizylinder-Reihenmotor, der auch alle anderen 500er-Kawasaki antreibt. Der Twin wird in seiner Grundform immerhin schon seit elf Jahren gebaut und verkaufte sich weltweit über 150.000 mal. Der Motor mag altersmäßig ein Oldie sein, seine wesentlichen Konstruktionsmerkmale sind aber immer noch modern: Wasserkühlung, zwei obenliegende Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, eine Ausgleichswelle und seit neuestem ein „Abgasreinigungssystem” namens KCA, das per Frischluftzufuhr in die Auslaßkanäle den Ausstoß von Kohlenmonoxid und unverbrannten Kohlewasserstoffen reduziert.
Mit einer einfachen Transplantation wollen es die Kawasaki-Techniker aber nicht bewenden lassen. Aus dem Sprinter-Herz sollte für die ER eine Ausdauer-Pumpe werden. Statt Drehfreude im oberen Bereich war Durchzugsstärke in den unteren und mittleren Drehzahlregionen gefragt. Ein schweres Schwungrad, zahmere Steuerzeiten und eine geringere Verdichtung sollen den gewünschten Erfolg erzielen. Um es kurz zu machen: sie bringen es voll und ganz. Die ER-5 ist Klassenprimus in Sachen Durchzug und zeigt in dieser Disziplin der Honda und vor allem der Suzuki das Rücklicht.
Dank ihrer Durchzugsstärke läßt sich die Kawasaki sehr schaltfaul fahren. Doch das hielt die Techniker nicht davon ab, das eigentlich schon recht ordentliche Getriebe zu überarbeiten. Sie optimierten den Schaltmechanismus und änderten die Übersetzung des zweiten und dritten Ganges. Das Ergebnis: leicht, leise und exakt- die Arbeit im Sechsganggetriebe ist ein Genuß. Schade nur, daß als Schalthebel ein hintenrum-und-untendurch Billigteil herhalten muß. Bei der GPZ übernahm die Verlängerung nach hinten ein sauber gemachtes Gestänge. Etwas weniger Freude als beim Schalten kommt beim Bremsen auf. Wo bei der GPZ mit mäßiger Handkraft wohldosiert und vor allem äußerst wirksam verzögert werden kann, muß bei der ER deutlich kräftiger zugelangt werden. Der ER-Solostopper bringt zwar ausreichende Bremswirkung, gegen die GPZ-Doppelscheibe fällt er aber gewaltig ab. Erschwerend kommt hinzu, daß die ER-Gabel der einseitigen Belastung bei extremer Verzögerung etwas nachgibt und sich spürbar verwindet. Die 140 Millimeter Federweg der Vorderhand werden gern und häufig auf fast ihrer gesamten Länge genutzt. Zu weich ist die nicht verstellbare Gabel dennoch nicht, sie ist halt nur komfortabel abgestimmt. An der Hinterhand läßt sich immerhin die Federbasis fünffach variieren. Nur wer mit zwei Personen auf Schlaglochsuche geht, wird über 80 Millimeter Federweg ab und an durchschlagenden Erfolg haben. Ansonsten gilt für die Einfachst-Federbeine das gleiche wie für die Telegabel: komfortabel, aber nicht zu soft.
Vollgetankt wiegt die ER-5 193 Kilogramm. Das ist Klassendurchschnitt, doch die Art und Weise, mit der diese Masse um Biegungen aller Art geschwenkt werden kann, ist nicht Standard- sondern Spitzenklasse. Die Rahmengeometrie und die Gewichtsverteilung machen die Kawasaki superhandlich, ohne daß das zu Lasten des Geradeauslaufs oder der Zielgenauigkeit gehen würde. Breiter Lenker, sauberer Knieschluß, niedrige Sitzposition, goldrichtig plazierte Fußrasten – auf der ER-5 fühlen sich auch Anfänger auf Anhieb wohl, entsprechend flott fällt der Fahrstil aus. Die Schräglagenfreiheit und das Haftvermögen der serienmäßigen Dunlop-Reifen (klassenübliche 110/ 70-17 vorn, 130/70-17 hinten) reichen im öffentlichen Straßenverkehr auch für Fortgeschrittene jederzeit aus. Das lustige Kurvenräubern findet mit der ER-5 erst nach gut 300 Kilometern ein vorläufiges Ende. Dann verlangt die Kawasaki nach einem Tankstopp- 16 Liter Normalbenzin faßt der Stahlblechtank. Der mit zwei Blechschrauben festgewürgte Tankverschluß ist zwar schließbar, aber verarbeitungsmäßig nicht gerade ein Augenschmauß. Ähnlich zwiespältig verhält es sich mit dem Benzinhahn: eigentlich gut zu erreichen, aber mit seinem Winz-Hebel während der Fahrt kaum zu betätigen.
Weitaus bedienungsfreundlicher fallen die übrigen Schalter aus: lenkerfester Choke, Blinker-Rückstellung per Druck – das paßt. Der Kawasaki-Rotstift machte glücklicherweise auch noch vor ein paar anderen Ausstattungs-Details halt: so blieben der Hauptständer und das zentrale Zünd-/Lenkschloß serienmäßig, und auch das Abblend- und Fernlicht ist immer noch recht ordentlich. Die Sitzbank läßt sich abschließen und die Auspuffanlage ist aus rostfreiem Stahl gefertigt.
Ab Werk gibt’s die ER-5 mit 34 PS und in schwarz, blau und rot. Wem 158 km/h Spitze nicht reichen, der kann vom freundlichen Kawasaki-Händler die Gasschieber tauschen lassen. Danach ist man mit 50 PS und maximal 180 km/h unterwegs. Die für die GPZ 500 S zusätzlich angebotenen Umrüstmöglichkeiten auf 27 und 60 PS gibt’s für die ER-5 nicht. Das ist nicht weiter dramatisch, auch so wird sich vermutlich sehr schnell die ER-Kenntnis durchsetzen, daß die ER-5 in der Halbliterklasse zukünftig kräftig mitmischen wird.
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