aus bma 05/02

von Marcus Lacroix

Kawasaki VN 1500 Mean StreakDas Fahren eines Motorrades hat bekanntermaßen wenig mit Rationalität zu tun und dient dem Motorradfahrer im Allgemeinen nicht nur zur Fortbewegung, sondern auch dazu, sich seiner Umwelt gegenüber zu profilieren (im wahren Wortsinne, bevor es hier wieder einen Anschiss gibt). Ob ihm die Profilierung auch tatsächlich gelingt, bleibt meist im Verborgenen – schließlich redet man nur selten drüber.
Um dieses Thema ging es kürzlich in einem Vorwort von Klaus Herder, und seine Wortwahl ließ die Emotionen vieler Leser arg hochkochen – Leserbriefe in ungeahnter Härte und Zahl erreichten die Redaktion. Sah es doch so aus, als würde einer der Unsrigen das eigene Nest beschmutzen, die vielgepredigte Solidarität und Toleranz mit Füßen treten. Dabei ging es im Kern „nur” um Selbst- und Fremdbild eines jeden von uns!
Warum das Thema hier wieder zur Sprache kommt, wo es doch eigentlich um einen Fahrbericht der neuen Kawasaki VN 1500 Mean Streak gehen soll? Ganz einfach – die Mean Streak soll dem Fahrer das Gefühl, (das Selbstbild) geben, so richtig cool zu sein, der Bezwinger der Massen, der Schrecken der Straße, der böse Bube der mit satt blubberndem Sound durch die City grollt, die Macht über die Beschleunigung in der rechten Hand haltend. Laut Kawa-Prospekt werden auf ihr Träume wahr. Von außen betrachtet (das Fremdbild) relativieren sich einige dieser Punkte recht schnell – trotzdem wird der Mean Streak-Treiber nicht enttäuscht.

 

Kawasaki VN 1500 Mean StreakKawasakis VN-Chopper- und Cruisermodelle haben sich seit Jahren auf dem Markt etabliert und einen guten Ruf erworben. Nicht zuletzt durch die stilistisch stark an die alten Indians angelehnte Drifter-Ausführung gelang es den Japanern immer wieder sich von den Mitbewerbern abzugrenzen. Was bis dato dem Zubehörhandel oblag, gab es nun direkt beim Vertragshändler. Die VN 1500 Mean Streak schlägt in die gleiche Kerbe, denn zu mehr Leistung, vernünftigen Bremsen und einer Flacheisenoptik verhalf bisher nur der Griff ins Regal der Edelschmieden und Händler.
Auf immerhin 72 Pferdestärken blies Kawa den bewährten 1500er-VN-Motor auf. Ein ganz annehmbarer Wert, betrachtet man den Rest des Marktes (Harley V-Rod und Honda VTX mal außer Acht lassend) und für flottes Power-Cruising allemal genug. Die Drosselklappen vor den Einspritzdüsen wuchsen im Durchmesser dafür ebenso, wie die Ein- und Auslassventile. Geänderte Steuerzeiten, größerer Ventilhub und eine neu abgestimmte Einspritzelektronik tragen ihren Teil zur Leistungsfindung bei.
Zum effektiven Ankern spendierte Kawasaki der Mean Streak vorne ein paar ansehnliche 320er Scheiben, die von zwei Sechskolbenzangen in die Mangel genommen werden. Die 300er Scheibe an der Hinterhand muss manch anderem VN-Modell als einzelner Frontstopper reichen. Die verschärfte Flacheisenoptik erreichten die Japaner durch sorgfältiges Arrangieren der übrigen Anbauteile. 40mm mehr Radstand trotz 21mm weniger Nachlauf, sportliche 17 Zoll Alu-Gussräder mit flacher Dunlop Sportmax Bereifung, eine 43er Upside-Down-Gabel, schlanke, gerade Auspuffrohre (zumindest erwecken sie diesen Anschein), knapp geschnittene Lackteile und eine ebensolche Sitzbank. Der gerade Lenker wird dem Fahrer über stark gekröpfte Riser gereicht. Die Zutaten stimmen – frönen wir also unserem Selbstbild und geben uns der Mean Streak hin.
Kawasaki VN 1500 Mean StreakLässigen Schrittes geht der Mean Streak-Fahrer zu der auf dem Seitenständer lehnenden Maschine. Abgeschlossen hat er das Teil extra nicht, denn die Fummelei an dem rechts unterhalb des Lenkkopfs angebrachten Schlosses (immerhin per Zündschlüssel bedienbar) ist ziemlich uncool. Zündschlüssel ins Zündschloss auf der Tankkonsole gesteckt und den ganzen Knauf einen Klick nach rechts gedreht. Der Zündschlüssel wird gleich wieder abgezogen (ja, in der „On” Position), schließlich will er sich den Lack nicht versauen. Die Leerlaufanhebung links vorne am Rahmenrohr ignoriert der Mean Streaker – die VN springt auch ohne den überflüssigen Knopf immer tadellos an. Braaaam, pam, pam, pam – jep, der Sound kommt absolut cool rüber. Man könnte glatt glauben die Auspuffanlage wäre frisiert. Ist sie aber nicht!
Das Bein über den nur 70 cm über dem Asphalt liegenden Fahrersitz geschwungen nimmt er lässig Platz. Leichter als erwartet lassen sich die mehr als 300 kg in die Senkrechte drücken. Ein Kick und der Seitenständer klappt ein, ein weiterer Kick und mit leichtem Klacken rastet der erste Gang ein. Kaum Gas, die Kupplung kommen lassen und schon tritt die Mean Streak an. Jetzt so schnell wie möglich in den fünften und somit letzten Gang hochschalten und mit nicht einmal 1500 U/min rollt das Biest unter sattem Blubbern (erinnert unterm Helm ein wenig an den seligen Heli Bell UH-1D) durch die Mainstreet. Wenn das nicht cool ist, was dann? Ampelstopp, nebenan steht so eine arme Sau in seiner langweiligen vierrädrigen Blechdose – hat der jemals gelebt? Grün. Die Mean Streak bekommt die Sporen. Die Blechdose in den Rückspiegeln wird wie die Stadt rasch kleiner. Landstraßen breiten sich aus, mit gepflegten 110 km/h zieht die Kawa spurstabil ihre Bahn, Vibrationen und Winddruck liegen im absolut angenehmen Bereich, weite Kurven und das Auspuffbrabbeln werden zur Seelenmassage. Schräglagenwechsel gehen erstaunlich leicht von der Hand und beim Wedeln zwischen Fahrbahnmarkierungen ziehen die Fußrasten auch schon mal Funken. Mean Streak fahren ist cool, das Bike läuft klasse und der Horizont ist das Ziel.
Doch wie sieht es mit dem Fremdbild aus? Bleiben wir in den eigenen Reihen und lassen wir ein paar andere Biker zu Wort kommen:

Edelman: Flacheisen von der Stange? Vergiss es – ist doch alles nur Großserie. Wo bleibt da der Individualismus und die Liebe zum Detail? Schöne Bremsanlage, keine Frage. Aber warum Gummi- statt Stahlflexleitungen? Und die Auspuffanlage – so ein Riesenfake! Von wegen Zwei-in-Zwei, das Teil versteckt einen fetten Vorschalldämpfer hinterm Motorblock. OK, da steckt ein Katalysator drin, aber authentisch ist DAS nicht. Nee, die Basis ist OK, aber im Detail müsste ich Hand anlegen. Cool ist was anderes…

Powerfreak: 72 PS bei über 300 kg Lebendgewicht? Da lachen ja die Hühner. Das ist keine Beschleunigung, sondern allenfalls ein Vorwärtskommen – mehr nicht! Von echter Power reden wir erst bei Erreichen dreistelliger Pferdestärken. Gut, 114 Newtonmeter bei 3000 U/min sind ein netter Wert, aber cool ist was anderes…

Sportsman: Was für eine Schande – da packen die Japaner die guten Sportmax auf einen Eimer, der bei jeder nur halbwegs zügig gefahrenen Kurve gnadenlos seine Fußrasten in den Asphalt gräbt. Der Angststreifen auf dem 170er ist mehr als daumenbreit und man bekommt nicht mal die Chance ihn abzufahren. Was nützt mir da das neutrale Kurvenverhalten und die relative Handlichkeit? Jede 500er Anfängermaschine mit 34 PS ledert mich da ja im Autobahnkreuz ab. Cool ist was anderes…

Tourenfreak: Rund 200 kg Zuladung bietet die VN. Schön, aber für wen? Hinten nimmt wohl kaum jemand für mehr als 50 km Platz. Naja, wenigstens könnte ich dort mein Gepäck an den serienmäßigen Haken befestigen. Aber mit dem Teil mal zum Cafe au Lait nach Cannes? Spätestens in Dortmund tut einem doch schon das Kreuz weh. Zwar wird es leichter, wenn ich die Füße auf die Soziusrasten stelle, aber das kann es ja wohl nicht sein. Und wenn ich meinen Tourentankrucksack aufschnalle, hupt es beim Linksabbiegen und rechtsrum summt der E-Starter. OK, der Kardanantrieb ist nicht zu verachten, aber wirklich cool ist was anderes…

Enduroman: Ihr wollt doch wohl nicht ernsthaft ein Statement von mir, oder?!

Kawasaki VN 1500 Mean StreakSoviel zu dem, was andere über die neue Kawasaki denken. Und was sagt der Mean Streak-Treiber dazu? Den ficht das alles nicht an, denn sein Selbstbild stimmt. OK, die anderen haben im Prinzip recht, aber die Argumente zählen für ihn nicht. Für die rund 12 Riesen, die die Mean Streak kostet, gibt es kein Edelschmiedennobelteil und Stahlflexleitungen kann man ja mal nachrüsten (lassen), obwohl es nicht unbedingt nötig ist. Die Bremse funktioniert 1a und beim kräftigen Reingreifen am Ortseingang bringt man das Vorderrad auch mal zum Pfeifen. Hohe Spitzenleistung braucht man im Alltag nicht, und zum untertourigen Cruisen ist das satte Drehmoment eh wichtiger. Die meisten Kurven auf der Landstraße machen Spaß und im Gegensatz zu manch einem Fireblade/GSX/ZXR-Piloten bekommt man die Rasten immerhin auf den Boden.
Und warum sollte man mit der VN nicht auch in den Urlaub fahren können? Man muss ja nicht auf der BAB 1000 km am Stück abreißen. Schön über die Landstraßen, nicht schneller als 100 km/h, dann verfeuert die Einspritzung auch nur 5,25 Liter/100 km, und die Tankfüllung reicht für rund 300 km. Spätestens dann steht auch Mister Tourenfahrer zum Qualmen oder Pinkeln neben seiner Maschine. Und der soll einem erstmal seine serienmäßige wegstreckenabhängige Blinkerabschaltung zeigen…
Die Kawasaki Mean Streak gibt es übrigens nur in schwarz, wobei dieses je nach Lichteinfall auch mal ein paar andere Schattierungen zeigt. Eine Probefahrt ermöglicht der freundliche Kawasaki-Vertragshändler von nebenan.