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aus bma 6/12 – Rechtstipp

von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
www.janschweers.de

Im Straßenverkehr wird oftmals wild gestikuliert. Häufig gehen die Hände hoch, um den Unmut kund zu tun. Die Hände gehen aber auch hoch zur Reinigung des Nasenbereichs und zur Sortierung der Frisur. Manchmal werden Handzeichen aber auch getätigt, um einem anderen Verkehrsteilnehmer die Vorfahrt zu gewähren. Ein in unserer hektischen Zeit lobenswertes Verhalten.

Da das Winken mit den Händen jedoch nicht immer eindeutig und auch missverständlich verstanden werden kann, muss man sich jedes Winken vorher gut überlegen, da daraus unter Umständen auch eine Haftung resultieren kann. Es kann also sein, dass soziales Verhalten im Straßenverkehr auch noch bestraft wird. Welch Widerspruch, zumal die Straßenverkehrsordnung von allen Verkehrsteilnehmern gegenseitige Rücksichtnahme verlangt.

Das Amtsgericht Germersheim, Urteil vom 08.03.2012, Az.: 1 C 473/11 hatte sich jüngst mit einem solchen Fall zu befassen. Ein Verkehrsteilnehmer hatte einem anderen Verkehrsteilnehmer die Aus­fahrt aus einer untergeordneten Straße ermöglicht. Er hielt vor der Kreuzung an und signalisierte dem Wartepflichtigen, dass er ihn reinlasse. Das Ganze ging nicht besonders schnell vonstatten und der Wartepflichtige musste noch warten, da aus der Gegenrichtung auch ein Fahrzeug kam, das der Wartepflichtige noch passieren lassen bzw. dem er Vorfahrt gewähren musste. Der Verzichtende wurde unruhig, da ihm dies alles nicht schnell genug ging und er nicht auch noch das „dritte Fahrzeug“ abwarten wollte. Er fuhr einfach mit seinem Fahrzeug wieder an, ohne sich mit dem anderen Verkehrsteilnehmer zu verständigen.

Es kam dann, wie es kommen musste, denn auch der andere Verkehrsteilnehmer fuhr in dem Glauben an, dass der Verzichtende weiterhin wartet und es kam zu Kollision.

Wer hatte nun Schuld? Jeder dachte natürlich der andere. So landete der Fall vor Gericht und das Amtsgericht Germersheim musste ein Urteil sprechen. Das Urteil führte letztendlich dazu, dass es keinen Sieger in diesem Rechtsstreit gab. Das Amtsgericht Germersheim sprach dem Vorfahrtsverpflichtenden, dass ist der, der warten musste, eine Haftung in Höhe von 80 Prozent zu. D.h. er musste 80 Prozent des Schadens des Vorfahrtberechtigten, das ist der, der zunächst Vorfahrt hatte, ersetzen. Selber bekam der Vorfahrtsverpflichtete 20 Prozent seines Schadens ersetzt. Mit diesem Ergebnis hatte keiner gerechnet. Jeder fühlte sich nämlich im Recht.

Das Gericht begründete sein Urteil damit, dass sich der Vorfahrtberechtigte vor dem Weiterfahren darüber hätte informieren müssen, dass der Wartepflichtige bemerkt hat, dass er nunmehr doch von seiner Vorfahrt Gebrauch machen will.

Letztendlich kann dieses Urteil nur dazu führen, dass in solchen Situation noch mehr Verständigung auf der Straße stattfinden muss. Wer auf seine Vorfahrt verzichtet kann nicht einfach so wieder von seiner Vorfahrt Gebrauch machen, wenn es ihm auf Grund einer Änderung der Verkehrslage oder aus anderen Gründen nicht mehr passt auf das Recht zuvor verzichtet zu haben. Der Wartepflichtige darf aber auch nicht blind darauf vertrauen, dass der auf seine Vorfahrt Verzichtende auch an seinem Plan festhält oder es sich vielleicht anders überlegt.