aus bma 11/06

von Klaus Herder

Yamaha FZ 1 (Mod. 2006)Die Zufriedenheit eines Kunden mit einem Produkt hängt oft nur zu einem kleinen Teil mit den objektiven Qualitäten des Produkts zusammen (zumindest dann, wenn es um noch aufregendere Dinge als Toilettenpapier oder Glühlampen geht). Viel entscheidender ist, ob die Erwartungen des Kunden durch das Produkt erfüllt werden. Oder etwas weniger theoretisch gesagt: Wenn Sie sich auf eine Bulldogge gefreut haben, werden Sie nur sehr bedingt begeistert sein, wenn man Ihnen einen noch so tollen Windhund liefert.
Ich hatte im Frühjahr 2001 eigentlich gar nichts Besonderes erwartet, als ich sehr kurzfristig einen fahrbaren Untersatz für zehn Tage und 5000 Kilometer Reiseführer-Recherche auf der Isle of Man benötigte. Hauptsache zuverlässig, Hauptsache einigermaßen bequem. Durch glückliche Umstände und einen guten Draht zum deutschen Yamaha-Importeur geriet ich an die damals brandneue FZS 1000 Fazer. Für ein ausführliches Aneinander-Gewöhnen bliebt vorab keine Zeit. Tankrucksack und Gepäckrolle auf den 233-Kilo-Allrounder geschnallt und ab gings Richtung Fährhafen in der Nähe von Amsterdam. Bereits die ersten Kilometer ließen in mir den Verdacht keimen, daß ich mit der Fazer ein Rundum-sorglos-Paket gebucht hatte. Und zwar ein sehr zügiges. Die 143 PS machten Druck in nahezu jeder Lebenslage wenn auch nicht aus den ganz tiefen Tiefen des Drehzahlkellers, so doch aber aus dem Erdgeschoß. Fahrwerk und Bremsen spielten tadellos mit, und die Sitzposition war für 1,86 Meter Fahrerlänge goldrichtig.

 

Die unzähligen Landstraßen-Kilometer auf der Isle of Man machten mich dann vollends zum Fan der großen Fazer, der vermeintliche Biedermann hatte sich als Brandstifter mit Sucht-Potenzial entpuppt. Und das ging in den folgenden Jahren nicht nur mir so. Die Yamaha entwickelte sich zum Geheimtip für gereifte Motorradreisende, die ihre supersportlichen Wurzeln noch nicht ganz vergessen hatten. Wie gut diese Maschine bereits auf Anhieb war, beweist die Tatsache, daß sie in ihrer Produktionszeit so gut wie keine Modellpflegemaßnahmen nötig hatte.
Yamaha FZ 1 (Mod. 2006)Doch so ganz spurlos ging die Entwicklung an der großen Fazer dann doch nicht vorbei. Im vergangenen Jahr fand sie weltweit nur noch 5100 Käufer. Zum Vergleich: Die kleine 600er-Schwester FZ6 Fazer wurde im gleichen Zeitraum 31800 Mal verkauft. Es gab somit kaufmännischen und damit technischen Handlungsbedarf. Eine mögliche Problemlösung lag sehr nah: Warum nicht das zweiteilige 6er-Konzept auf die 1000er übertragen? Einen nackten „Streetfighter” für die Freunde des bösen Kurztrips. Und einen halbverschalten Allrounder im Stile der alten Fazer für Menschen mit Gepäck und einer gefestigten Zweierbeziehung. Genau so kam es dann auch. Yamaha verpflanzte fürs Modelljahr 2006 den modifizierten 2005er-R1-Motor in zwei Schwester-Modelle. Die FZ1 ist die Nacktdarstellerin, das Schalentier heißt FZ1 Fazer.
Die 9995 Euro kostende und damit 600 Euro günstigere FZ1 steht nun vor mir. Und sie macht mich mächtig an. Kein Vergleich zur unscheinbaren 2001er-Fazer. Die FZ1 sieht unglaublich angriffslustig und durchaus sexy aus. Die Scheinwerferpartie hat etwas von einem Insektenkopf; Der 18-Liter-Tank ist kurz, aber fast schon unanständig breit. Das Heck wirkt so, als sei es eben gerade weggeschossen worden. Okay, vielleicht nicht ganz so radikal wie bei einer Buell XB 12 S oder Triumph Speed Triple, aber immer noch böse genug. Wenn auf irgendein Motorrad der Begriff „Muscle-Bike” hundertprozentig zutrifft, dann auf die Yamaha FZ1 – zumindest auf deren Form. Die Sitzprobe steigert die Erwartungshaltung noch. Die unendlich breite, goldrichtig gekröpfte Lenkstange läßt sich mit stark angewinkelten Armen auch von eher kurzen Menschen locker greifen – das macht breite Schultern. Der Tank? Nun ja, das mit der Breite hatten wir schon, aber wer auf dicke Hose machen möchte, findet seine Sitzhaltung vielleicht gar nicht sooo breitbeinig. Moderate 800 mm Sitzhöhe kommen da ganz gelegen, das „Schrittbogenmaß” (eine wunderbare Wortschöpfung, Copyright by BMW) stimmt somit wieder, und Normalwüchsige haben kein Problem damit, die Kampfstiefel beidseitig auf den Boden zu bekommen. Wer auf der FZ1 sitzt, hat das Gefühl, fast direkt überm Vorderrad zu lauern und sich mächtig weit über einen imaginären Balkon zu lehnen. Fachleute nennen das „vorderradorientierte Sitzposition”. Und das Gefühl trügt nicht, denn tatsächlich verlagerte Yamaha den Fahrer um 49 mm in Richtung Vorderrad, legte gleichzeitig den Lenker um 25 mm tiefer und versetzte ihn 10 mm in Richtung Pilot. Die Fahrerfußrasten sind nun 16 mm höher und 27 mm weiter hinten montiert, alles im Vergleich zum 2005er-Modell der alten Fazer (nicht nachgemessen, ich vertraue in diesem Fall der Yamaha-Pressemitteilung…). Wer seinen Blick zurück auf den Balkon nimmt, entdeckt ein Kombi-Instrument, bestehend aus digitalem Tacho und analog anzeigendem Drehzahlmesser. Und zumindest den sollte man gut im Blick behalten, doch dazu später mehr. Die Rückspiegel der FZ1 sind nicht übertrieben zeigefreudig, die Fazer-Schwester bietet da deutlich mehr Rücksicht. Der Handbremshebel läßt sich fünffach verstellen, der Kupplungshebel unverständlicherweise nicht.
Yamaha FZ 1 (Mod. 2006)Doch das ist alles Kleinkram in Anbetracht dessen, daß einem dieser Muskel auf Rädern doch wohl gleich den unvergesslichsten Kick verpassen wird. Die Hoffnung ist begründet, denn 150 PS und 106 Nm sind doch wohl passende Hausnummern. Der rechte Daumen macht also Druck, die von der alten Fazer bekannte Choke-Fummelei entfällt. Wo vormals vier Vergaser werkelten, tut nun eine elektronische Kraftstoffeinspritzung mit entsprechender Regel-Mimik unauffällig, zuverlässig und absolut pflegeleicht Dienst. Der Sound aus dem mit EXUP-Auslaßsteuerung, zwei geregelten Katalysatoren und Lambda-Sonde bestückten Edelstahl-Auspuffstumpen klingt durchaus kernig. Kindische Spielerei am Gasgriff wird mit bösem Vierzylinder-Fauchen belohnt. Ein Griff zur leichtgängigen Kupplung, ein beherzter Tritt ins präzise rastende, aber Nachdruck fordernde Sechsganggetriebe, Kupplung langsam kommen lassen, nun müßte er sofort kommen, der unvergesslichste Kick. Kommt aber nicht. Sorry, mein Fehler. 2000 U/min sind zu wenig. 3000 und 4000 U/min auch. 5000 U/min? Vergiß es. Nichts. Okay, die Fuhre zuckelt geschmeidig los, nimmt sauber Gas an, doch das machen 34 PS starke 500er auch. HALLO! Wir haben es hier mit einem von 172 PS auf immer noch beachtliche 150 PS gedrosselten EINLITER-Motor zu tun. Da muß doch wohl mehr gehen. Muß es wirklich? Ein paar Kleinigkeiten habe ich nämlich bislang unterschlagen: Die Nennleistung liegt nämlich erst bei 11000 U/min an, fürs maximale Dreh-moment sind 8000 Touren erforderlich, und der rote Bereich beginnt bei 12000 U/min. Oder kurz gesagt: Dieser Motor ist eine gnadenlose Drehorgel. Yamaha betont zwar, daß im Vergleich zum R1-Organspendemotor die Schwungmasse um 40 Prozent erhöht wurde, zudem senkten die Ingenieure die Verdichtung, entschärften die Steuerzeiten und paßten die Zünd- und Einspritzelektronik an. Alles und noch viel mehr mit dem Ziel, „deutlich mehr Drehmoment im unteren bis mittleren Drehzahlbereich” zu liefern.
Yamaha FZ 1 (Mod. 2006)Die Operation ist gelungen – vorausgesetzt, man definiert „unteren Drehzahlbereich” mit „über 6000 U/min” und versteht unter „mittlerem Drehzahlbereich” rund 8000 Touren. Um es klar zu sagen: Unter 6000 U/min wirkt der Fünfventiler absolut blutleer, läßt dafür aber oberhalb von 8000 U/min die Sau richtig raus. Doch ist es das, was man von einer nackten 1000er erwartet? Eine Honda CBF 1000 hat auf dem Papier 52 PS (in Worten: ZWEIUNDFÜNFZIG!) weniger, macht auf kurvigen Landstraßen aber deutlich mehr Spaß als die FZ1. Die 48 Kehren des Stilfserjochs sind mit einer CBF 1000 reiner Fahrspaß, mit einer FZ1 wird es anstrengend, denn der elendig lang übersetzte erste Gang erfordert Kupplungszauberei, die teilweise verzögerte Gasannahme macht die Sache nicht einfacher. Wenn die Kurven weniger und die Geraden länger werden, brennt die FZ1 dafür so ziemlich alles nieder, was nicht zur Kategorie Fire-blade, R1 und Co gehört. Rund 250 km/h sind bei entsprechend ausgebildeter Nackenmuskulatur durchaus machbar. Doch braucht man dafür ein unverkleidetes Muscle-Bike? Wer auf der FZ1 mit Tempo 100 im sechsten Gang unterwegs ist, treibt die Drehzahlmessernadel gerade mal auf 4000 U/min. Zügiges Überholen ohne zu schalten ist dann praktisch unmöglich. Und wenn schon schalten, dann doch bitte mehrfach. Zwei oder drei Steps helfen durchaus weiter. Noch mal die Frage: Braucht man dafür eine 1000er?
Sie verstehen jetzt vielleicht meine einleitenden Worte – die Sache mit der Bulldogge und dem Windhund. Die vollgetankt 215 Kilogramm leichte Yamaha FZ1 ist ein handwerklich tadellos gemachtes Motorrad. Ihre Verarbeitung ist hervorragend, Detaillösungen sind fein ausgeführt, und die von der R1 stammende (dort aber wichtig radial verschraubte) Bremsanlage gehört zu den wirksamsten und am besten zu dosierenden Stoppern, die momentan serienmäßig zu bekommen sind. Der aus gegossenen und gepreßten Alu-Komponenten zusammengefügte Brückenrahmen ist absolut verwindungssteif, die fette Upside-down-Gabel läßt sich komplett einstellen, das ebenfalls mit straffer Grundabstimmung gesegnete Zentralfederbein in der Federbasis und Zugstufendämpfung. Beide Federelemente lassen im öffentlichen Straßenverkehr niemals den Wunsch nach Nachrüstteilen aufkommen. Der 190er-Hinterradreifen versaut in welligen Kurven zwar ab und an etwas die Linie, sieht aber wichtig aus und ermöglicht zusammen mit dem 120er-Partner am Vorderrad mächtig schräge Schräglagen. Sechs (flotte Landstraßenfahrt) bis acht (sehr flotte Autobahn) Liter Verbrauch sind angemessen, die Euro 3-Grenzwerte werden locker unterboten. Die Yamaha FZ1 ist unterm Strich also wirklich ein sehr gutes Motorrad zu einem fairen Preis. Wenn, ja wenn die Sache mit der möglicherweise nicht ganz passenden Erwartungshaltung wäre. Wenn Sie allerdings immer schon mal einen Windhund haben wollten, der wie eine Bulldogge aussieht, dann können Sie die FZ1 bedenkenlos kaufen. Allen anderen Interessenten empfehle ich vorm Unterschreiben des Kaufvertrags ein ausführliches Probe-Gassigehen. Oder vielleicht gleich den Kauf eines gebrauchten, aber kerngesunden Mischlings namens FZS 1000 Fazer. Da könnte man die Verkleidung abbauen und am Heck vielleicht etwas mit der Flex…
Aber das ist eine ganz andere Geschichte.