aus bma 08/07
von Klaus Herder
Deutsche Automobilbauer machen es schon lange: Für viel mehr Technik und Verpackung sehr viel mehr Geld zu kassieren. Ein M oder S im Namen verraten dem Kenner dann, dass es sich um ein ab Werk veredeltes Großserienprodukt handelt. In der Motorradbranche sind die Italiener seit jeher die Meister der eleganten Aufpreispolitik. Wer feinere Federelemente und etwas weniger Masse dank etwas mehr Kohlefaser haben möchte, zahlt extra. Die japanischen Hersteller starteten vereinzelt ebenfalls Versuche, Gutes für feines Geld noch besser zu machen, doch waren bislang meist nur die Topmodelle von der werksseitigen Veredelungswut betroffen. Aber mit der Zurückhaltung ist nun Schluss, der Sondermodell-Virus hat die gemeine Mittelklasse erreicht. Zumindest bei Yamaha.
Wer 7643 statt 7232 Euro (plus 170 Euro Nebenkosten) beim Yamaha-Dealer des Vertrauens anlegt, bekommt eine FZ6 Fazer mit dem Zusatz „S2”. Das Kürzel ABS schmückt mittlerweile jede FZ6. Die hierzulande bestverkaufte Yamaha gibt es in Deutschland ausschließlich mit Blockierverhinderer. Zu dessen Qualitäten später mehr. Bleiben wir vorerst beim S2-Mehrpreis von 411 Euro. Dafür bekommt der Fazer-Käufer erstaunlich viel. Zum Beispiel mehr Schwarz. Der Vierzylindermotor und auch der Alurahmen zeigen sich bei der S2 von ihrer dunkelsten Seite, während die beiden anderen FZ6-Modelle (Standard-Fazer und nackte FZ6) das übliche Silber tragen. Dass die Tauchrohroberflächen der S2 eloxiert sind, fällt nicht sofort auf, die geänderte Vorderradabdeckung womöglich auch nicht. Die S2-Schwinge ist da schon markanter. Zum einen ist sie – Überraschung – schwarz statt silber. Und zum anderen eleganter und schlanker aus leichtem Aluguss geformt. Die an Alugussträgern montierten Beifahrerfußrasten der S2 sind zwei Zentimeter tiefer gelegt und bescheren dem Mitfahrer einen spürbar bequemeren Kniewinkel.
Okay, werden Sie sagen. Das ist alles ganz nett, etwas mehr Schwarz, etwas mehr Alu, etwas mehr Komfort – aber dafür 411 Euro mehr? Gemach, fürs Extra-Geld es gibt es noch viel mehr. Zum Beispiel eine komplett neue, dem Supersportler R6 nicht unähnliche Verkleidung, die zackig-flotter als das etwas rundliche Exemplar der normalen Fazer geformt ist, und deren Doppelscheinwerfer 30 Millimeter tiefer sitzt. Die etwas schmalere Verkleidungsscheibe sorgt zusammen mit der breiteren und steiler stehenden Front dafür, dass es dahinter weniger Turbulenzen und Windgeräusche auf Helmhöhe gibt. Dazu gibt’s längere Spiegelausleger, und damit werden die Rückspiegel endlich ihrer Bestimmung gerecht. Aber auch hinterm Kunststoff tat sich eine Menge: Das unsägliche digitale Kombiinstrument mit der albernen Drehzahlbalken-Schätzanzeige flog bei der S2 raus, die von der großen Schwester FZ1 bekannte und übersichtliche Kombination aus Digitaltacho und Analog-Drehzahlmesser kam dafür rein. Allein diese Aktion ist den S2-Mehrpreis wert! Die normale FZ6 muss übrigens weiterhin mit dem unübersichtlichen Designer-Gewürge auskommen.
„Design interessiert mich nicht, ich will mehr Technik!” Bitteschön, davon gibt es für besagte 411 Euro auch etwas mehr. Nämlich einteilig gegossene Vierkolben-Festsättel statt Doppelkolbenzangen für die Vorderradbremse. Genau genommen handelt es sich um ein Bremsen-Comeback, denn die feinen Stopper sorgten bereits bei der alten Fazer für famose Verzögerung, wurden bei der großen Modellpflege 2004 aber eingespart. Und wo wir gerade bei der Technik sind: 20 PS mehr, nämlich 98 statt 78, gibt es bei der S2 ebenfalls inklusive. Richtig gelesen. Die S2 ist das einzige von drei FZ6-Modellen, das ab Werk offiziell mit 98 PS geliefert wird. Die normale Fazer und ihre nackte Schwester stehen ab Modelljahr 2007 nur noch mit 34 oder 78 PS in der Liste. Doch keine Panik: Die Drosselung ist denkbar einfach ausgeführt, das Entkorken entsprechend simpel. Für rund 50 Euro gibt’s einen anderen Anschlag an den Drosselklappen und ein an der Zündbox anzubringendes Massekabel, welches das Kennfeld der Zündung verändert. Wer die entsprechenden Teile montiert hat, ist (natürlich nach Eintragung in die Papiere) ganz legal mit der vollen Leistung unterwegs.
Der S2-Fahrer kann sich den Umbau schenken, und wer aus Führerschein- oder Versicherungsgründen nicht partout gedrosselt unterwegs sein muss oder will, für den sollte es keine zwei Meinungen geben: Die S2 ist mit Abstand die beste Wahl im FZ6-Angebot. Einige Modellpflegemaßnahmen kamen aber nicht nur der S2, sondern allen FZ6-Modellen zugute. Die wichtigsten von ihnen: Ein neues Kennfeld für die Steuerung der elektronischen Saugrohreinspritzung sowie ein Dreiwege-Katalysator nebst Lambdasonde. Damit unterschreitet der kompakte Reihenvierer jetzt locker die Euro-3-Norm und benimmt sich in Sachen Gasannahme längst nicht mehr so zickig wie zuvor. Das Startverhalten ist unverändert, nämlich kalt wie warm tadellos. Grobmotoriker wurden in der Vergangenheit bei unsensiblen Gas-auf-Gas-zu-Aktionen mit einer gewissen Bockigkeit bestraft, die im Winkelwerk durchaus die Linie versauen konnte. Damit ist nun weitgehend Schluss, wer sich nicht ganz dämlich anstellt, fährt mit der Fazer einen sauberen Strich. Vorausgesetzt, er ist sich darüber im klaren, daß er mit einem Sportmotor unterwegs ist. Der aus der R6 stammende Kurzhuber liebt und braucht Drehzahlen. Der Reihenvierer hat unter 6000 U/min nur wenig Lust, spürbare Leistung abzugeben. So richtig munter wird er erst über 9000 Touren, das maximale Drehmoment von klassenüblichen 63 Nm wird bei 10000 U/min gestemmt, die Nennleistung liegt 2000 Touren später an. Wer dann immer noch nicht genug hat, kann die Kurbelwelle munter weiter rotieren lassen. Der Drehzahlbegrenzer greift erst jenseits von 13000 U/min ins Geschehen ein.
Hubraum-Junkies, Drehmoment-Freaks und Drehzahl-Verweigerer können damit nichts anfangen, aber wer sich für die 600er-Fazer interessiert, hat normalerweise auch nicht eine XJR 1300 als Alternative im Hinterkopf. Die kleine Fazer war immer schon eine Drehorgel, daran hat sich – glücklicherweise – nichts geändert. Das muntere Drehzahlsurfen hat nämlich durchaus seinen Reiz. Der Motor wurde schließlich genau dafür gebaut und erledigt seinen Job unglaublich locker, lässig und niemals angestrengt. Honda CBF 600 und Suzuki Bandit sind ganz sicher die vernünftigeren Motorräder, mehr Spaß machen sie aber nicht. Im Gegenteil.
Auf der Fazer ist man immer breit grinsend mit dem Messer zwischen den Zähnen unterwegs (Zugegeben, ein etwas widersprüchliches Bild…). Und das, obwohl man ziemlich bequem untergebracht ist. Beim 2007er Jahrgang sogar noch bequemer, denn der Sitzbank ging es kräftig an den Schaumstoff. Der ist nun deutlich belastbarer und mit einem griffigeren Bezug versehen. Die schmalere Kontur sorgt bei unveränderter Sitzhöhe (795 mm) dafür, dass auch etwas kurzbeinigere Fahrer einen sicheren Stand haben.
Zur dynamischen Art der Fortbewegung mit der herrlich handlichen Fazer passt die bereits erwähnte S2-Bremse hervorragend. Während die normalen FZ6-Stopper ein handels-übliches „ganz gut” als Beurteilung verdienen, bekommt die S2-Bremse ein „famos” verliehen. Mit wenig Handkraft fein zu dosieren, knackiger Druckpunkt, brachiale Wirkung – genau so soll das sein. Allerdings folgt jetzt das ganz große „Aber”, denn das erfreulicherweise serienmäßige ABS bremst in einer anderen, leider deutlich niedrigeren Liga. Es regelt sehr grob und ruppig und ist meilenweit von dem entfernt, was zum Beispiel das (aufpreispflichtige) BMW-ABS zu bieten hat. Aber auch die bei vergleichbaren Japanern montierten Systeme können es durchweg deutlich besser. Bleibt zum Trost die Erkenntnis, das ein simples Arme-Leute-ABS immer noch besser ist als gar keins. Der Blockierverhinderer ist schließlich nur für den Notfall gedacht und muss keinen Schönheitspreis gewinnen. Im Normalfall ist die S2-Bremse ein hervorragendes Teil, das die mit 19,4 Litern vollgetankt 215 Kilogramm wiegende S2 immer und überall sicher einfängt.
Die in Rot, Blau und Schwarz lieferbare Yamaha FZ6 Fazer S2 ABS (Ging’s noch länger?) ist – vom mäßigen ABS abgesehen – ein rundherum gelungenes Motorrad. Die allgemeine FZ6-Modellpflege und besonders die S2-Veredlung taten der Fazer richtig gut. Die Verarbeitung ist ordentlich, die Ausstattung stimmt (u. a. Wegfahrsperre, Warnblinkanlage, verstellbarer Handbremshebel), und mit 10000 Kilometer langen Wartungsintervallen sowie einem Verbrauch zwischen fünf und sechs Litern halten sich die Unterhaltskosten in Grenzen. Wer keine Angst vor hohen Drehzahlen hat und eine kräftige, langstrecken- und soziustauglichen Mittelklassemaschine zum fairen Preis sucht, sollte sich die S2, die beste aller bislang gebauten 600er-Fazer, mal etwas genauer anschauen und fahren. Auf die Frage „Darf’s etwas mehr sein?” lautet die Antwort dann womöglich: „Na klar!”
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