aus bma 07/96

von Bernhard Hübner

Yamaha TDM 850 (Mod. 1996)Wer glaubt, daß die Wünsche hiesiger Motorradfahrer im fernen Japan auf taube Ohren stoßen und die Japaner immer nur das bauen, was sie wollen, aber nie das, was sie sollen, der irrt. Mit der neuen TDM 850 jedenfalls hat Yamaha bewiesen, daß ein gutes Grundkonzept durch einschneidende Maßnahmen noch erheblich verbessert werden kann. Dank der freundlichen Unterstützung des Yamaha-Vertragshändlers Scholly’s aus Kirchlinteln hatten wir Gelegenheit zu einer ausführlichen Testfahrt. Die neue TDM gibt einem das Gefühl, noch tiefer als auf dem Vorgängermodell zu sitzen. Stimmt aber nicht, die Sitzhöhe ist mit angenehmen 795 mm gleichgeblieben. Verändert wurden hingegen die Sitzbank und der Lenker. Die Sitzbank führt nun nicht mehr um den Tank herum und wurde offensichtlich etwas abgepolstert, hat dadurch aber nichts an Komfort eingebüßt. Der Lenker hingegen ist ein wenig „gewachsen”, so daß durch Höhe und die ungewöhnliche Kröpfung eine Art „Superbike-Feeling” entsteht. Einen echten Fortschritt bedeutet die Plazierung der Leerlaufeinstellschraube direkt neben dem Benzinhahn. Die läßt sich nämlich betätigen, ohne daß man sich die Finger verbrennt. Die mühselige Suche nach dem Choke entfällt. Er befindet sich nun dort, wo er hingehört, nämlich am Lenker. Der Druck auf den Anlasserknopf führt zu einer angenehmen Überraschung: Die Yamaha grummelt nun wie ein richtiges Motorrad vor sich hin. Dank des 270°-Hubzapfenversatzes (ein TRX-„Abfallprodukt”) sind die Zeiten vorbei, als der Klang der TDM 850 ganz einfach mit dem einer leeren Coladose beschrieben werden konnte. Der neue Motor läuft noch ruhiger, noch turbinenartiger als das alte TDM-Triebwerk. Ab 3.000 U/min steht dem Fahrer Dampf ohne Ende zur Verfügung. Wußte man sich früher bei einem leichten Kribbeln in den Lenkerenden zwischen 4.000 und 5.000 Umdrehungen pro Minute, so hilft heute nur noch der Blick auf den Drehzahlmesser. Seidenweich und ohne die geringsten Schwingungen arbeitet sich der von ursprünglich 57 auf nun 59 kW erstarkte Zweizylinder in hohe Drehzahlregionen vor. So passiert es immer wieder, daß der Fahrer am Ortsausgang beschleunigt, hochzuschalten versucht und feststellt, daß er die Ortsdurchfahrt im höchsten Gang bewältigt hat.

 

Yamaha TDM 850 (Mod. 1996)Dabei ist das Herumrühren im Getriebe gar nicht so schlimm, wurde doch auch dieses Teil kräftig überarbeitet. Präzise und ohne Geräuschkulisse lassen sich die fünf Gänge durchschalten. Die Getriebeabstufung wie auch die Übersetzung des Endantriebs wurden ebenfalls optimiert. Locker läßt sich die nun fahrbereit 232 kg schwere TDM um die Ecken bewegen. Man bekommt den Eindruck, auf einem viel leichteren Untersatz zu hocken. Manche Fahrer haben beim alten Modell eine leichte Fahrwerksunruhe, hervorgerufen durch die Gummilagerung des Lenkers, feststellen können. Logische Konsequenz: der Lenker ist nun starr montiert. Fast unverändert hat Yamaha die Bremsen des Vorgängermodells übernommen. Die vordere 298 mm-Doppelscheibe sowie die hintere 245 mm-Bremsscheibe waren schließlich immer schon vom Feinsten. Daher hat man sich in Japan auf den Einbau anderer Bremsbeläge beschränkt. Ebenfalls nicht verändert hat Yamaha leider die heftigen Lastwechselreaktionen, die den Fahrspaß besonders in engen Kurven erheblich trüben. Die auffallendste Änderung mußte sich die Verkleidung gefallen lassen. Die beiden Scheinwerfer erwecken nun nicht mehr den Eindruck, als handelte es sich um Anbauten aus dem Zubehörregal. Rundlicher, höher und schöner, dafür aber jetzt ohne Luftschlitz in der Scheibe, präsentiert sich das neue Schutzschild, das den Oberkörper des Fahrers erfolgreich vom Winddruck befreit. Doch leider hat diese Umbaumaßnahme auch einen nachteiligen Effekt. Konnte der TDM-Fahrer früher bedenkenlos mit Sommerhandschuhen auf die Reise gehen, so empfiehlt sich heute dringend die Mitnahme von etwas dickeren Exemplaren. Die neu geformte Verkleidung leitet den Windstrom nämlich nicht mehr um die Fahrerhände herum. Da aber geteiltes Leid auch halbes Leid ist, ergeht es den Knien auch nicht besser. Auch die sind den Naturgewalten jetzt voll ausgesetzt. Die beiden unterhalb der Scheinwerfer angebrachten „Nasenlöcher” haben wohl mehr eine optische Funktion. Unverändert geblieben sind die tadellosen Schalter und Handhebel. Immer noch vorbildlich ist der stufenlose Verstellmechanismus des Handbremshebels.
Yamaha TDM 850 (Mod. 1996)„Nackt” muß sich nun der Motor durch die Welt schlagen, da auf den Aluschutz des Vorgängermodells verzichtet wurde. Wahrscheinlich wird auch niemand dieses Blech vermissen, störte es doch nur beim Ölwechsel. Ein besonderes Ärgernis bei der alten TDM war der für den gewaltigen Durst doch recht mickerige 18 l-Tank. Der geänderte Spritbehälter bietet nun Platz für 20 Liter Normalbenzin. Bei einem offenbar reduziertenVerbrauch von nun etwa 5,6 Litern ergibt sich immerhin eine theoretische Reichweite von etwa 350 Kilometern. Seinen Stammplatz unter der Sitzbank mußte der Öltank des mit einer Trockensumpfschmierung ausgestatteten Fünfventil-Motors verlassen. Der Ölbehälter befindet sich nun gut versteckt hinter den Zylindern. Das beste Versteck hat aber das Ölschauglas abbekommen. Da sehnt man sich doch nach dem guten alten Meßstab unter der Sitzbank zurück.
Überaus anfällig waren früher die Gabelsimmerringe für angetrocknete Insektenreste. Auch hier hat man eine einfache Lösung gefunden. Unauffällige Plastikverkleidungen schützen die gefährdeten Bereiche wirkungsvoll vor Viehzeug aller Art.
Eine rein optische Veränderung haben die Instrumente durch die Verwendung neuer Zifferblätter erfahren. Klar im Mittelpunkt steht dabei der Drehzahlmesser mit seinem weißen Blatt und der grauen Umrandung. Hinterlegt ist das gesamte Arrangement mit einer wunderschönen Carbonattrappe. Gravierender fallen da schon die Fahrwerksveränderungen aus. Der Standrohrdurchmesser der Telegabel wuchs um zwei auf jetzt 43 mm an, während gleichzeitig der Federweg von 160 mm auf 149 mm reduziert wurde. Der Radstand beträgt nur noch 1470 statt ehemals 1475 mm. Diese Änderungen sollen zusammen mit den nunmehr montierten Radialreifen in den Abmessungen 110/80 vorne und 150/70 hinten für noch mehr Handlichkeit sorgen. Unverändert hingegen blieb das hintere, mittels einfachem Handhebel in der Federvorspannung zweifach verstellbare, Federbein. Nachdem die Sitzbank entfernt ist, genügt ein simpler Handgriff, und die TDM ist auf Zweipersonenbetrieb eingestellt. Das ist erfreulich, ist sie doch dank ausreichender Sitzfläche tatsächlich soziustauglich. Die Yamaha TDM 850 des Jahrgangs 1996 mußte derart weitreichende Veränderungen über sich ergehen lassen, daß man getrost von einer Runderneuerung sprechen kann. Trotz massiver Eingriffe an Fahrwerk, Motor und Verschalung handelt es sich aber immer noch um eine TDM. Freundlicherweise schlagen sich die Verbesserungen nicht im Preis nieder, denn der liegt unverändert bei knapp 16.000 DM.