aus bma 2/09
von Klaus Herder
Eines der letzten Rätsel der Motorradszene ist die Tatsache, warum es vielen von uns so unglaublich schwer fällt, zuzugeben, dass ein nicht ganz unerheblicher Aspekt unseres Hobbys die persönliche Imagepflege ist. Oder noch konkreter: Dass es durchaus Spaß macht, mit dem fahrbaren Untersatz herumzustrunzen und auf dicke Hose zu machen.
Mode, Kosmetik – ganze Branchen leben einzig und allein vom zutiefst menschlichen Selbstdarstellungswunsch ihrer Kunden, doch wir Motorradfahrer (und vor allem unsere selbsternannten Interessenvertreter) versuchen immer krampfhaft, unsere Freizeitbeschäftigung sachlich zu begründen: „Man sieht mehr von Land und Leuten.” „Man spürt Wind und Wetter viel direkter.” „Die sportliche Herausforderung macht den besonderen Reiz aus.” Und als Krönung: „Man schont als Motorradfahrer Ressourcen und wirkt dem urbanen Verkehrsinfarkt entgegen.” Mag ja alles stimmen, aber wenn das die einzigen Gründe wären, müssten wir alle Honda CBF 600 oder Yamaha Diversion fahren. Tun wir aber nicht, doch trotzdem gibt kaum jemand zu, dass es rattenscharf ist, wenn der Reihenhaus finanzierende und TDI-Kombi fahrende Nachbar vor Neid am liebsten in ein Stück Holz beißen würde, wenn wir unseren 240er-bereiften Chopper aus der Garage holen. Oder dass es ebenfalls mächtig Spaß macht, dass der gegelte Cabrio-Schönling beim Ampelsprint nicht den Hauch einer Chance hat.
Nein, wir sind offiziell total rational, und am vernünftigsten sind diejenigen, die insgeheim am liebsten auf dicke Hose machen. Womit wir bei der Yamaha Vmax wären, die neuerdings VMAX heißt. Rückblende: Fighterama 2005, eine höchst unterhaltsame Böse-Buben-Motorradmesse am Niederrhein. Wie der Zufall es will, befindet sich unserer Verlags-Messestand genau gegenüber dem Clubstand einer Vmax-IG. Es sind also drei Tage Zeit, um in aller Ruhe zu beobachten, wie der organisierte Vmax-Fahrer so drauf ist. Um die ganze Sache etwas spannender zu machen, haben wir die neue Yamaha MT-01 am Stand und dazu einen Yamaha-Produktentwickler, der die Messebesucher so ganz nebenbei zur soeben auf der Tokyo Motor Show präsentierten VMAX-Studie aushorchen möchte.
Fazit nach drei Tagen Messe: Auf dem Stand der Vmax-IG lief nonstop ein 30-Minuten-Video, das ältere Herren in korrekter Schutzbekleidung bei einer in korrekter Formation, weitgehend schräglagenfrei und absolut StVO-konform gefahrenen Tour mit abschließendem Kaffeetrinken in einem gutbürgerlichen Lokal zeigt. Der Unterhaltungsfaktor für Nicht-Tour-Teilnehmer entsprach dem Schleuderprogramm eines Waschvollautomaten. Entsprechend üppig fiel der Ansturm am IG-Stand aus. Was aber viel interessanter war: Besagte Herren, überwiegend Graubärte jenseits der 40, vermieden es drei Tage lang erfolgreich, die direkt vor ihrer Nase geparkte MT-01 (also den damaligen Platzhirschen des Yamaha-Programms und das 2005er-Musclebike schlechthin) auch nur mit dem Arsch anzugucken. Motto der etwas zu auffälligen Nichtbeachtung: Es darf keine anderen Götter neben der Vmax geben. Besagter Yamaha-Mitarbeiter konnte sich derweil anhören, was an der VMAX-Studie alles total unpraktisch und nicht tourentauglich sei. Alles in allem also eine ziemlich unentspannte, sehr deutsche Atmosphäre. Wäre ja auch zu verwegen gewesen, auf eine große Tafel zu schreiben MÄNNER – WIR FAHREN DEN GEILSTEN STUHL DER LETZTEN 20 JAHRE, UND UNS INTERESSIEREN FAHRWERKSSCHWÄCHEN, SCHRÄGLAGENFREIHEIT UND VERBRAUCH NICHT DIE BOHNE. WIR HABEN SPASS AM GENUSSVOLLEN-SPRITABFACKELN UND AM DICKE-HOSE-KORSOFAHREN. WER MACHT MIT? Zugeben, daß man die Vmax wegen ihres Macho-Images und ihrer brachialen Verpackung gekauft hat? Niemals! Nö, die Vmax ist halt ein toller Tourer…
Trotzdem werden nicht wenige Vmax-Fans in den nächsten Monaten ihr Sparschwein schlachten und/oder intensive Gespräche mit ihrem Bankberater führen müssen. Seit November 2008 wird nämlich die neue VMAX ausgeliefert. Die ist zwar weder wesentlich praktischer noch deutlich tourentauglicher als ihre Vorgängerin, aber dennoch gibt es mindestens drei ganz handfeste Kaufgründe: 1679 ccm, 200 PS und 167 Nm. Die deutlich brutalere Verpackung gibt’s als Sahnehäubchen obendrauf. Doch der Reihe nach: Mit 145 PS und 122 Nm aus einem V-Vierzylinder mit 1198 ccm war die Vmax-Erstauflage 1985 absolut cheffig unterwegs. Daß der verkappte Dragster wegen der 100-PS-Selbstbeschränkung der offiziellen Importeure elf Jahre lang nur als Grauimport nach Deutschland kommen konnte, schadete dem Image auch nicht – im Gegenteil. Doch spätestens mit der 98-PS-Weichspülerversion, die ab 1996 offiziell importiert wurde (und 2000 Mark mehr als die von freien Importeuren weiterhin parallel angebotene offene US-Version kostete), begann der Vmax-Stern zu sinken. Ihr herrlich brutales Design war immer noch einzigartig, doch bereits vorm Verkaufsende 2002 gab’s mittlerweile jede Menge hubraum- und leistungsstärkere Maschinen. Der Wunsch nach einer würdigen Nachfolgerin keimte aber immer in der Szene, doch Yamaha ließ sich sehr viel Zeit. Vielleicht waren es spektakuläre Konkurrenz-Modelle wie Harley V-Rod, Triumph Rocket III und Suzuki B-King, die Yamaha dann doch noch davon überzeugen konnten, daß es ein Macho-Leben jenseits der Supersportler-Klasse gibt.
Yamaha ging das Thema spät, dafür aber sehr konsequent an. Vom Vorbild blieben eigentlich nur drei Grundideen: Zwei Räder, V-Vierzylinder, Kardanwelle. Okay, vier Ideen, denn die neue VMAX hat wie die alte Vmax einen 15-Liter-Tank, der unterm Fahrersitz untergebracht ist. Ansonsten ist alles, wirklich alles neu. Sogar die markanten Ansaugschnorchel, bei der Vmax nur schnöde Attrappen, machen jetzt das, wofür sie eigentlich gebaut sind: Luft in die unter der Tankattrappe sitzende Airbox leiten. Für die beeindruckenden Leistungs- und Drehmomentwerte (noch mal zum Genießen: 200 PS bei 9000 U/min und maximal 167 Nm bei 6500 U/min) sorgt ein komplett neu konstruierter V4-DOHC-Motor. Der spreizt seine beiden Zylinderpaare im Winkel von 65 Grad (Vorgängerin 70 Grad) und baut trotz eines Hubraumzuwachses von 481 ccm sogar etwas kompakter. Die deutlich steiler zueinander stehenden (und damit begradigte Ansaugwege ermöglichenden) Ventile werden von Nockenwellen gesteuert, die über eine sehr clevere Kombination von Ketten und Stirnrädern angetrieben werden. Um die Einlassnockenwelle kümmert sich eine Steuerkette, die Auslassnockenwelle wird von dort über Stirnräder in Rotation versetzt. Lohn der Mühe: Ein kompakteres Zylinderkopf-Design, das Platz für elektronische Helferlein lässt, die neben dem Hubraum-Plus maßgeblich für die amtliche Leistungssteigerung verantwortlich sind.
So sorgt zum Beispiel die aus der YZF-R1 bekannte Ansaugluftsteuerung dafür, daß die Ansaugrohre in ihrer Länge um bis zu 10 cm variieren können. Bis 6650 U/min gibt’s viel Drehmoment durch lange Rohre; oberhalb von 6650 U/min sorgt ein Servomotor für noch mehr Leistung durch kurze Rohre. Die elektronische Drosselklappensteuerung stammt ebenfalls aus Yamahas Supersportlern. Die Kraftstoffversorgung erledigt eine Einspritzanlage. Die ganze V4-Herrlichkeit hängt mittragend in einem Alu-Brückenrahmen, dem die (zeitgemäßen) Fertigungstoleranzen des Doppelschleifen-Stahlrohrrahmens der Ur-Vmax fremd sein dürften. Eine Alu- anstelle der Stahlrohrschwinge gibt’s ebenfalls, und wo vormals gar nicht (Gabel) oder nur begrenzt (Federbein) verstellbare Federelemente Dienst taten, darf nun in Sachen Federbasis sowie Zug- und Druckstufendämpfung hemmungslos experimentiert werden. Galten anno 1985 echte 150 mm Hinterradreifen-Breite als ziemlich fett, müssen es heutzutage natürlich 200 mm sein. Das ebenfalls 18-zöllige Vorderrad hat 120 mm Breite zu bieten, wo vormals 100 mm reichen mußten. Das sind nette, aber nicht unbedingt rekordverdächtige Werte. Den gibt es aber für den Standrohrdurchmesser der Telegabel: Fette 52 mm!
Genug der Theorie, Sitzprobe: Sehr aufrecht und sehr lässig. Und doch etwas gewöhnungsbedürftig, denn die Fahrerfußrasten sind relativ weit vorn montiert. Die breit bauenden (echten!) Lufthutzen sorgen zudem dafür, daß man mit weit gespreizten Gräten Platz nimmt. Wie gesagt: Gewöhnungsbedürftig – aber nicht unbequem. Breiter Lenker, griffige Handhebel, perfekte Spiegel, Drehzahlmesser (analog) und Tacho (digital) als Kombi-Instrument gut im Blick – das paßt. Die auf der Tankattrappe montierte Konsole bietet pralles Mäuse-Kino, nämlich digitale Informationen über Tages- und Gesamtkilometer, Uhrzeit, Tankinhalt, Gangwahl, Momentanverbrauch, Ansaugtemperatur und Drosselklappenöffnung. Zudem gibt’s eine Stoppuhr mit Countdown-Funktion. Klingt nicht sehr übersichtlich? Ist es auch nicht, liegt aber außerhalb des normalen Sichtfeldes und nervt daher auch nicht weiter.
Wenn das VMAX-Herz zum Leben erwacht ist ohnehin jeder Gedanke über die Arbeitsplatzgestaltung vergessen. So, genau so muß ein Dicke-Hose-Motorrad klingen! Der Japan-V4 macht auf Ami-V8 und grummelt herrlich böse aus der 4-in-1-in-2-in-4-Anlage mit ihren kurzen Titan-Schalldämpfern. Dieses absolut legale Akustik-Gesamtkunstwerk, zu dem auch das gierige Ansaugschnorcheln und das wuchtige Mahlen und Stampfen aus den Tiefen des Motorgehäuses gehören, sei allen Brüllrohr-Proleten als Lehrstück empfohlen, die immer noch Lärm mit Sound verwechseln. Tja, und dann gibt es das, was das ohnehin schon breite Grinsen zur Mundwinkel-Dauerlähmung werden läßt: Die Kugel wird aus dem Lauf gelassen, die Kupplung rückt ein, und 310 Kilo plus Fahrer werden in die nächstbeste Umlaufbahn geschossen. Gaaaaas! Natürlich geht ein zwei Zentner leichterer Supersportler mindestens gleich gut ab. Aber dafür sind vom Gebückten Fingerspitzengefühl, Erfahrung und eine gewisse Leidensfähigkeit am Kupplungshebel gefragt. Auf der VMAX dagegen kann man auch als normalbegabter Motorradfahrer fast nichts verkehrt machen. Kupplung und Schaltung verlangen nicht nach feinmotorischen Höchstleistungen, der Fahrer kann sich immer und überall auf das konzentrieren, wofür die VMAX gebaut wurde: Schub, Schub und nochmals Schub zu liefern. Die Fuhre ist im vierten und fünften Gang elektronisch auf maximal 220 km/h begrenzt. Scheißegal, denn bei stehendem Start und beim Durchladen des per Anti-Hopping-Kupplung gezähmten Fünfganggetriebes sind 235 km/h drin, die schlaue Motorelektronik erkennt also den klassischen Viertelmeile-Sprint, für den die beiden letzten Fahrstufen gegebenenfalls entbehrlich sind. Ist die Nenndrehzahl von 9000 U/min erreicht, informiert übrigens ein an die Drehzahlmesser-/Tachokombination angedockter Schaltblitz über den bevorstehenden Gangwechsel – eine nette Spielerei, die aber ziemlich überflüssig ist, denn auch mit der halben Drehzahl ist man sehr schnell in einem Bereich unterwegs, der dem Flensburger Konto gar nicht gut tut.
Wer jetzt geneigt ist, im Hinblick auf infantile Gasgriff-Spielerei vor innerörtlichern Lichtzeichenanlagen den imaginären Zeigefinger zu heben, kann beruhigt werden: Die VMAX gehört zu der Sorte Motorrad, die zwar immer kann, die aber eine solche Lässigkeit ausstrahlt, dass ihr Fahrer gar nicht immer will. Die VMAX macht auf sehr angenehme Art und Weise cool.
Einen großen Anteil daran hat das Wissen, mit einem Motorrad unterwegs zu sein, auf dessen Bremsen man sich absolut verlassen kann. Radial montierte Sechskolben-Bremszangen kümmern sich fein dosierbar um 320-mm-Scheiben. Ein serienmäßiges ABS sorgt dafür, dass selbst grobmotorische Bremshebel-Bedienung keine fatalen Folgen hat. Fürs Bremsen gilt das Gleiche wie fürs Gas geben: Von der reinen Leistungsfähigkeit her bieten das auch viele andere Motorräder, die Bedienungsfreundlichkeit der VMAX-Bauteile ist aber schon etwas Besonderes.
Mit besagter Leichtigkeit kann das Handling aus genannten Gründen – wir erinnern uns: 310 Kilo, dazu ein ellenlanger Radstand (1700 mm) plus üppiger Nachlauf (148 mm) – naturgemäß nicht in jeder Situation aufwarten. In flotten Wechselkurven ist schon ein gewisser Kraftaufwand erforderlich, um zügig ums Eck zu kommen. Doch das Gesamtpaket aus perfekter Gasannahme in allen Drehzahlbereichen, aus hervorragend dosierbaren und standfesten Bremsen und aus einem verwindungssteifen, mit ordentlichen Federelementen bestückten Fahrwerk macht die VMAX zu einem gut berechenbaren Partner für eigentlich alles, was einem auf Asphalt unter die Räder kommen kann.
Die VMAX ist ausschließlich in „Solar Black” lieferbar, was aber weitaus mehr als schnödes Schwarz ist. Bei passendem Lichteinfall ist das ein toller Glimmerlack, dessen Goldeinschlüsse perfekt zur edlen Machart der hervorragend verarbeiteten Maschine passen. Alles andere wäre auch völlig unangemessen, denn Yamaha ruft heftige 19750 Euro auf. Das ist eine Menge Holz für ein toll funktionierendes Motorrad. Und es ist ein fairer Tarif für ein wunderbares Prestigeobjekt, das eine Sache ganz besonders gut erledigt: Das Ego seines Besitzers streicheln, der mit kaum einem anderen Serien-Motorrad so genial auf dicke Hose machen kann. Was doch wahrlich nichts Verwerfliches sein muss.
—
Kommentare
4 Kommentare zu “Yamaha VMAX (Mod. 2009)”
Einfach geil der Bericht,ja so ist die Bikerseele…..
Klaus,solche Burner erlebe ich auch in Dortmund auf der Messe,halt in etwas abgewandelter Form,bei anderen Modellen.
Gruß Peter
Ein unvergleichliches Motorrad – einmal im Torpedomodus bewegt, weiss man warum ;-). Kein anderes kann dieses Erlebnis, speziell das „Beschleunigungserlebnis“, bieten. Danke an Yamaha, und: super Bericht!
Geiler Fahrbericht – geiles Bike
Wie immer @Klaus: einfach gut und ehrlich!
🙂
… can´t wait to play!
Recht so – ein Bike mit dem man schon immer dicke Backen machen konnte – aber nicht muss!
Meine 94er US-max hatte dank K&N-Air, 4in2in4-Anlage, manuellem V-Boost und einiger anderer unnötiger Spielereien auch den dreifachen schwarzen Gürtel auf der Viertelmeile – der Yamaha-V4 will spielen – das säuselt er einem ständig ins Ohr – in jeder verfügbaren Gangstufe …. Ich freu mich schon auf das Spiel mit der jüngeren raffinierteren Brutalo-Schwester!!
Achtung: extreme Suchtgefahr!