aus bma 12/00
von Dieter Gehrken
Ja, ich gebe zu, mit 55 Jahren (vor nunmehr fünf Jahren) gehöre ich zu den Späteinsteigern der Motorradszene. Mit 18 Jahren wurde die Klasse 3 gemacht und da man nicht wusste, was einem im Leben noch bevor stand, mit 19 Jahren die Klasse 2. Mit dem Klasse 1-Führerschein hatte ich jedoch meine Probleme. Nicht, dass ich ihn mir nicht zutraute, nein es waren ältere Freunde, die vor mir den Führerschein für Motorräder gemacht hatten. Drei waren es, die mit ihrem nicht einmal trockenem Führerschein tödlich verunglückten. Das sitzt fürs Leben.
Und doch war meine Liebe zu den Motorrädern ungebrochen, hatte ich doch auf dem damaligen Kultmoped, der Kreidler, erste Runden gedreht. Ich war unwiderruflich infiziert worden. Auch ist heute längst verjährt, ohne gültiges Patent die kleine 250 Adler getestet zu haben.
Nach 37 Jahren im Besitz der alten Klasse 3 war es dann soweit. Die Kinder standen auf eigenen Füßen, die Existenz war aufgebaut, das Berufsleben abzusehen. Jetzt oder nie musste ein Motorrad ins Haus. Ins Auge stach die Honda Rebel 125 für knapp 6.000 DM. Der nächste Honda-Händler war zwar 60 Kilometer entfernt, aber was soll’s. Nach dem Kaufvertrag hatte ich auf den 60 Kilometer Autobahn zurück Zeit genug, nochmals über den getätigten Kauf nachzudenken. Gott sei Dank, sage ich heute. Zu Hause angekommen stand fest: Kaufvertrag rückgängig machen, Fahrschule anrufen, Klasse 1 nachmachen.
Nach gut zwei Monaten intensivstem Unterricht und Fahrstunden hatte ich eines Mittags den Klasse 1-Schein in der Hand und am Abend – alles war vorbereitet – die Yamaha XV 535, ein richtiges Motorrad, unter dem Hintern.
Dann kamen höhere Ansprüche. Die erste Urlaubsfahrt war in Planung und Suzuki hatte die VZ 800 raus gebracht: in Schwarz mit viel Chrom, Scheibe, festen Koffern, Sturzbügeln und zwei Zusatzscheinwerfern. Also Scheidung und neue Liebe – ein richtiges Schmuckstück, mein neuer Cruiser. Doch zwischenzeitlich hatte ich mich den „Gichtrockern” angeschlossen. Diese Gruppe älterer Motorradfahrer fährt fast ausschließlich Tourenmaschinen. Also hatte ich wieder aufs falsche Pferd gesetzt.
Dann kam der Urlaub mit meiner Regierung und dem PKW. Jeder Motorradhändler im Umkreis wurde aufgesucht. Immer wieder wurde gerechnet, verglichen und vorsichtig auf die Neue hingewiesen. Und eines Morgens war es soweit: „Ruf bloß deinen Händler an und bestell’ die Neue.” Die Alte stand gerade, rein zufällig, zur Wartung beim Händler. Über eine Distanz von mehr als 1000 Kilometern mit viel Wasser dazwischen wurden per Telefon die Verkaufsverhandlungen geführt. Sicher eine Seltenheit, aber es hat alles hervorragend geklappt. Per Fax wurden dem Händler Ausweiskopie und Vollmacht zur Anmeldung übermitteln – auch nicht alltäglich. Aber es durfte ja auch keine Zeit vergeudet werden, schon der Urlaub nur mit PKW zog sich scheinbar endlos in die Länge.
Endlich wieder zu Hause stand die Neue bereits in meinem Carport. Kein High-Tech-Träger, dafür ein Tourenmotorrad, solide bis zur letzten Niro – Schraube. Eine sagenhaft lange Bezeichnung steht in ihrem Stammbuch: Yamaha XJ 900 S Diversion; Diversion (sprich: Diwörschen) = Zeitvertreib. Metallic-rot ist sie, geschützt mit einem Motor- schutzbügel und für Urlaube ausgerüstet mit Hepco & Bekker-Koffern und -Topcase. Diese schienen mir solider als die Original-Koffer.
Die Einfahrzeit wurde nach etwas Vorgeplänkel an einem Tag erledigt: Teutoburger Wald, die Extern Steine, Porta Westfalica und längs der Weser zurück Richtung Norden. Was für ein Gefühl, nach dem noch gedrosselten Cruiser nun mit 89 PS aus 892 ccm unterwegs zu sein. Nun konnten auch größere Touren organisiert werden. In Planung war eine Fahrt zu den Fjorden Norwegens. Noch aber befanden wir uns in den Flitterwochen, meine neue XJ 900 S und ich.
Ein Leichtgewicht ist sie mit ihren 276 Kilogramm nicht. Und einen relativ hohen Schwerpunkt mit 24 Litern Normalkraftstoff in der Oberweite hat sie. Das war’s aber auch schon, was es bei meiner Dicken zu meckern gibt. Die Bezeichnung „Eisenhaufen”, wie sie – wenn auch liebevoll – von einer großen Motorradzeitschrift verwendet wurde, scheint mir nicht angebracht.
Schlüssel in das Lenk-/ Zündschloss, Choke am Lenker gezogenen, ein kurzer Druck auf den Knopf und ein tiefes Brummeln entfleucht links und rechts den Endrohren. Einmal in Gang lässt sie sich spielend fahren. Von den 276 Kilos Lebendgewicht und dem hohen Schwerpunkt ist nichts mehr zu spüren. Sind erst einmal alle fünf Gänge eingelegt (von dem nur der erste Gang zu hören ist) kann man die Schalterei vergessen – wobei der 5. zum 4. Gang eine höhere Übersetzung haben könnte. Kraft ist genug da, um im fünften Gang von etwas über Stadtgeschwindigkeit bis 205 km/h (laut Tacho) zu beschleunigen – ohne Loch und Tadel. Aber bitte ohne Koffer! Ein pflegeleichter Kardan, der einen Lastwechsel nicht spüren lässt, treibt die Fuhre an.
Mit mir (das Gewicht wird verschwiegen), Koffern, Topcase und einer gut verzurrten Gepäckrolle war das zulässige Gesamtgewicht von 470 Kilogramm auf der Norwegentour sicherlich erreicht. Probleme gab es nicht. Auch habe ich kein Durchschlagen der Gabel bemerkt, wenn man kräftig in die Eisen geht. Die Doppelscheibenbremse von 320 Millimeter Durchmesser sorgt übrigens für gute Verzögerungswerte. Außerdem lassen sich die Telegabel und Monocross-Federung auf Fahrer und Fahrweise einstellen.
Mein Begleiter war mit einem Boxer unterwegs. Ob es an den luftgekühlten vier Zylindern in Reihe gelegen hat, dass mir die Steigungen leichter fielen und die Serpentinen schneller zu durchfahren waren, oder ob es die Übersetzung war, weiß ich nicht. Auf jeden Fall war die Passauffahrt auf meiner XJ 900 S mit weit weniger Schalterei verbunden.
Mag die Halbschalenverkleidung als Wind- und Wetterschutz auch ausreichen, die originale Scheibe wurde dennoch durch die hohe Tourenscheibe von Five Stars ausgewechselt. Eine erhebliche Verbesserung konnte ich auf meiner nächsten Autobahnfahrt von Wilhelmshaven zum Bodensee feststellen. Der Druck auf den Helm hat erheblich abgenommen, das Windgeräusch dagegen kaum.
Auf dieser Fahrt hat sich das gute Sofa der Yamaha bemerkbar gemacht – oder eben nicht bemerkbar. Ohne Schwielen am … erreichte ich am späten Nachmittag den Bodensee – ohne Haltungsbeschwerden bin ich von der Maschine gestiegen. Das gute Sitzverhalten gilt auch für den Sozius-Platz. Da die Bank aber nicht nur bequem sondern auch entsprechend breit ist, sollte der Fahrer nicht kürzer als 1,75 m sein. Im Stand lassen sich die Füße sonst nicht voll aufsetzen.
Was gibt es noch zu berichten? Gesoffen hat sie bisher auch nicht. 6 Liter Normalkraftstoff haben immer ausgereicht. Der Ölverbrauch war bisher nicht zu messen. Für den sicheren Stand, aber auch um den Ölstand kontrollieren zu können, sorgt ein Hauptständer. Die gut ablesbaren Rundinstrumente im Cockpit bestehen aus Tachometer mit Gesamt- und Tageskilometerzähler, Drehzahlmesser und Kraftstoffanzeige. Aufgeräumt darüber liegen die Anzeigen für Fernlicht, Blinker, Zündung und Öldruck. Unter der Sitzbank, wo sich ausreichend Werkzeug befindet, gibt es neben der Batterie noch genügend Platz, um ein paar Utensilien oder den für Österreich vorgeschriebenen Verbandskasten zu verstauen. Wenn man aber die Batterie ausbauen will, muss leider erst die rechte Verkleidung abgeschraubt werden.
Von Pendelbewegungen oder gar einem Shimmy-Effekt spürte ich nichts. Aber wie gesagt, sie wird als Tourenmaschine gefahren und nicht als heißer Ofen. Beruhigend am Ende eines Autobahnstaus ist es, dass es eine Warnblinkanlage gibt.
Die Reifen wurden nach 15.000 Kilometern von Dunlop auf Metzeler ME 33 / ME 55 A umgerüstet. Laut Test sollen sie die besseren Reifen für dieses Motorrad sein.
Nach zwei Jahren muss ich feststellen, dass sich der Preis der Dicken um einen Tausender auf nunmehr 16.690 DM erhöht hat. Allerdings gibt es beim Jahrgang 2000 die Koffer dazu. Seit 1983 bis 1994, damals noch XJ 900 F, wurden 12.000 Stück für deutsche Straßen zugelassen. Seit 1994 bis dato, nunmehr XJ 900 S Diversion, sollen es wieder bereits an die 10.000 sein. Ich hoffe, sie wird noch lange gebaut, auch wenn in letzter Zeit keine Modellpflege vorgenommen wurde – oft ein Zeichen, dass ein Modell eingestellt wird. Oder es gibt nichts zu verbessern? Ich könnte nicht viel dazu beitragen.
Ein altes Sprichwort sagt: Aller guten Dinge sind drei. Mein drittes Motorrad, die Yamaha XJ 900 S Diversion (also meine Dicke oder sollte ich besser sagen mein schweres Mädchen), ist genau das Motorrad, wo der Preis-/Leistungsvergleich stimmt. Nichts für heiße Mädchen und Jungen, jedoch für lange Touren und eine noch längere Freundschaft.
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Kommentare
2 Kommentare zu “Yamaha XJ 900 S Diversion”
Hallo Dieter,
ist zwar schon Ewigkeiten her aber ich bin gerade erst über deinen Artikel und die Bilder gestolpert. Kannst du dich noch erinnern wo du diese Tankpads her hast?
Ich such die Dinger verzweifelt und finde nichts.
Wäre toll wenn du dich daran erinnern könntest.
Freundliche Grüße
Bernd
Hallo Dieter, ein prächtiger Artikel!
Lachen musste ich über den Ausdruck „Gichtrocker“!!
Wenn du Lust hast, lies doch mal meinen Bericht – ich war mit meiner XJ 900 „Divörschen“ in St. Petersburg!
Hier Teil 1:
https://ojs.ub.uni-konstanz.de/ba/article/view/4643
Teil 2:
https://ojs.ub.uni-konstanz.de/ba/article/view/4703
Grüße Wolf