aus bma 2/00

von Konstantin Winkler

Eigentlich hatte ich es nie ernsthaft in Erwägung gezogen, mir ein Motorrad aus Fernost – auch Reisschüssel genannt – zuzulegen. Dass ich dennoch in den Genuss kam, lag am konkurrenzlos günstigen Kaufpreis, wie es eben bei Notverkäufen so ist. Nun stand sie also bei mir in der Garage und wurde von meinen BMWs schief angeguckt, obwohl sie eher englisch als japanisch aussieht: die zweizylindrige 650er Yamaha, und zwar als modisch gewandelte XS 650 SE im Softchopper-Look, die den stolzen Beinamen U.S. Custom trägt.
Yamaha XS 650 SEDer geringfügig langhubige Reihenmotor (74 mm Bohrung und 75 mm Hub) leistet 50 PS bei 6800 U/min. Seit 1968 – damals lautete die Typenbezeichnung noch XS 2 – malträtierten die bauartbedingten Vibrationen des Parallel-Twins die Yamaha-Kundschaft. Aber so schlimm sind sie auch wieder nicht. Man braucht nach der Ausfahrt nicht nochmal los, um losgeschüttelte Schrauben und andere Teile wieder einzusammeln. Zu den angenehmen Eigenschaften, die zwei nebeneinander auf- und abgleitende Kolben vermitteln, gehört die Möglichkeit, das Motorrad auch ohne anstrengende Schiebearbeit einzuparken: Stellt man sie auf den Hauptständer und dreht kräftig an Gasgriff, wandert die XS 650 brav in jede rückwärtige Parklücke.
Der antiquierte japanische Twin unterscheidet sich in wohltuender Weise von den Multi-Zylindern neueren Datums. Wo beim Drehzahlmesser der XS der rote Bereich beginnt, setzen andere 650er gerade erst zum Luftholen an (7500 U/min). Wenig britisch ist das Getriebe. Kurze Schaltwege und gute Gangarretierung, das brachten englische Ingenieure niemals zustande.

 

Nachdem die Yamaha einige Monate ihre Alltagstauglichkeit unter Beweis gestellt hatte, sollte es auf große Tour gehen. Sturzbügel, Gepäckträger und Koffer wurden montiert, der Tankrucksack befestigt. Auch die Campingausrüstung und eine große Auswahl an Landkarten musste mit, denn das Ziel hieß „Richtung Süden und dann immer geradeaus”. Fast 1000 Kilometer Autobahn am ersten Tag, und das ohne Ermüdungserscheinungen. Breiter Lenker, bequeme Sitzbank und die Fußrasten an der richtigen Stelle bedeuten optimale Sitzposition. Dagegen zeigte die Antriebskette gleich nach der ersten Passfahrt an der Turracher Höhe Ermüdungserscheinungen. Mit dem Bordwerkzeug war es nicht möglich, die Kette zu spannen, ein 27er Schlüssel fehlte.
Die nächsten 1000 Kilometer verliefen ohne Probleme, wenn man davon absieht, dass sich beim Durch- fahren eines Schlagloches ein Koffer selbständig machte. Der nachfolgende LKW konnte ausweichen und so blieb es bei ein paar unschönen Kratzern. Nach weiteren 500 Kilometern hieß es einen halben Liter Öl für die Yami und Ouzo für den Fahrer: Wir waren problemlos bis nach Griechenland gekommen. Inzwischen hatte sich die Kette so weit gelängt, dass man sie nicht mehr nachstellen konnte. Mittels Feile, Hammer und einem krummen Nagel zum Durchschlagen entfernte eine griechische „Fachwerkstatt” das überzählige Kettenglied. Schön, wenn vertrauen- erweckendes Präzisionswerkzeug zur Verfügung steht!
Yamaha XS 650 SEBewährungsprobe für das Fahrwerk waren die teilweise unbefestigten Straßen in Griechenland. Man merkte schon, dass man auf einem Chopper und nicht auf einer Fernreise-Enduro sitzt. Hart aber herzlich wurden die Unzulänglichkeiten des Fahrbahnbelages an die Allerwertesten der Passagiere weitergegeben.
Nach einer Stippvisite in Istanbul mit anschließender Bosporus-Überquerung (jetzt können wir behaupten, auf Achse bis nach Asien gefahren zu sein) war es Zeit für den Rückweg. In den italienischen Dolomiten – bis dorthin gab es keine Probleme mit Ausnahme der Kette, die immer wieder nachgestellt werden musste – machten dann Batterie und Lichtmaschine schlapp. Bedauerlicherweise verfügt das Cockpit über keine Batterie-Kontrollleuchte. So blieb nicht nur die Ursache, sondern auch die Straße im Dunkeln. Mit den letzten paar Volt Spannung – das Fernlicht leuchtete in Standlichtstärke – erreichten wir im österreichischen Vorarlberg einen Berggasthof.
Am nächsten Morgen hatte sich zumindest die Batterie wieder erholt und alles schien in Ordnung. Bis zu einer Autobahnraststätte bei Stuttgart. Dort brach die Stromversorgung schließlich ganz zusammen. Nach einstündiger Infusion am Ladegerät konnten wir dann allerdings ohne weitere Probleme und sicherheitshalber ohne Licht bis nach Geesthacht fahren.
Das technische Resümee nach fast 7000 Kilometern in zwei Wochen: Freude und Verdruß hielten sich die Waage. Sitzposition und Motor sind einzigartig. Nur ein Liter Motoröl mußte nachgefüllt werden. Die Federbeine, Kette samt Ritzel sowie der Hinterradreifen waren dagegen am Ende ihrer Kräfte. Als launische Diva entpuppte sich die Stromversorgung: mal Top, mal Flop.
Der Tank ist zwar formschön gestaltet, doch mit seinen 11,5 Litern Fassungsvermögen viel zu klein für die große Urlaubstour. Zwar flossen im Schnitt nur 4 bis 5 Liter Benzin pro 100 Kilometer durch die Mikuni-Vergaser, trotzdem: fast 50 Mal während einer Urlaubstour eine Tankstelle anzusteuern, ist doch ein bisschen happig.
Noch unbrauchbarer als das Bordwerkzeug ist das „Owners-Manual”, die Betriebsanleitung. Wertvolle Hinweise sind dort zu finden, wie zum Beispiel unter der Rubrik Benzinhahn: „Ist der Kraftstofftank vollständig leer, so muß Kraftstoff aufgetankt werden.” Wer hätte das gedacht! Statt Tipps für Inspektion und Wartung zu geben, soll die Beziehung zum örtlichen Dealer gefestigt werden: „Im Falle des Auswechselns der Belagkltze (kein Druckfehler), besuchen Sie Ihren Yamaha-Händler.” Auch wer Ventile einstellen oder gar die Steuerkette spannen will, wird schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt: „Die Einstellung sollte jedoch einem ausgebildeten Yamaha-Wartungstechniker überlassen werden.” Eine ganze Seite lang wird dagegen darauf eingegangen, wie man sich nach dem Verschlucken von Batteriesäure zu verhalten hat. Eine Kostprobe: „Große Mengen Milch trinken. Danach Rührei oder Saladöl (wieder kein Druckfehler) einnehmen und sofort einen Arzt aufsuchen.” Da lacht der Hobbymediziner. Und welchen Schluss zieht die geneigte Leserschaft daraus? Wer zu doof zum Schrauben ist, trinkt auch Schwefelsäure.
Doch zurück zum Motorrad. Sogar zu sportlicher Höchstleistung hat es der XS 650-Motor schon gebracht. Im Gespann des deutschen Seitenwagen-Crossisten Reinhard Böhler gab es weltmeisterlichen Segen. Aber das ist schon lange her. Heute ist die Yamaha XS 650 ein begehrter Klassiker. Die Softchopper-Version XS 650 SE weniger, wohl wegen der Gussräder. Ein Klassiker war auch mein zweites japanisches Motorrad, doch darüber berichte ich ein andernmal.