aus bma 09/97

von Bernhard Hübner

Ihre Ahnen hießen XT 500 und XT 550, sie selbst erblickte als Reiseenduro „Ténéré” im Jahre 1983 das Licht der Welt: die Yamaha XT 600. Bereits 1985 folgte die abgespeckte Version ohne Verkleidung, wie sie Yamaha XT 600 heute noch zu haben ist, während der Ténéré bereits 1991 ein neues Triebwerk mit 660 ccm Hubraum, fünf Ventilen und Wasserkühlung eingepflanzt wurde. So zählt die Yamaha XT 600 neben der SR 500 aus gleichem Hause zu den japanischen Dauerläufern. Die ersten Jahrgänge sorgten noch für stramme Waden, bis die XT 600 dann 1990 wahlweise mit E-Starter zu haben war. Fortan unterschied man zwischen der XT 600 K (Kick) und der XT 600 E (Elektro-Starter). Seit 1995 wird nur noch die E-Version angeboten. Die damit verbundenen Mehrpfunde sind im Straßenbetrieb leicht zu verschmerzen, und für den Geländeeinsatz gibt es ohnehin geeignetere Untersätze. Ebenfalls 1995, dem Jahr der letzten größeren Modellpflegemaßnahmen, bekam die XT 600 zum zweiten Mal nach 1987 einen größeren Tank aufgepflanzt. Nach ursprünglich 11,5 und später 13 Litern kann jetzt aus einem 15 Liter-Reservoir geschöpft werden. Leider ist der Behälter mit dem aufgesetzten Tankdeckel sehr unförmig geraten, so daß Tankrucksäcke nur unzureichenden Halt auf ihm finden. Das Fahrzeuggewicht ist im Laufe der Jahre von 154 kg auf 172 kg angestiegen.
Veränderungen mußten im Laufe der Zeit auch die Bremsen über sich ergehen lassen. Bereits 1987 wurde die hintere Trommelbremse durch eine Scheibe ersetzt, drei Jahre später kam eine Doppelkolbenbremszange zum Einsatz und 1995 wuchs der Durchmesser der vorderen Scheibe von 267 auf 282 Millimeter an. Auf die Plastikabdeckung wurde nun endlich verzichtet. Verzichtet hat Yamaha seit 1995 auch auf den ehemals serienmäßigen Gepäckträger und auf Gepäckhaken, wie sie heute an fast jedem Motorrad zu finden sind. Für 156,- DM hat Yamaha aber „rein zufällig” einen passenden Träger im Zubehörkatalog (das gleiche Teil kostet bei Wunderlich in Ahrweiler 69,- DM, Tel. 02641/97900). Die Sitzhöhe wurde mehrmals reduziert, mal durch die Umstellung von einer 18″- auf eine 17″-Felge hinten, mal durch Reduzierung der Federwege. Allein diesem Umstand ist es zu verdanken, daß eine Yamaha XT 600 Einzug in den Redaktionsfuhrpark gehalten hat, denn sie sollte auch von Fahrern geringerer Körperlänge bewegt werden. Die aktuelle XT weist nun eine Sitzhöhe von erträglichen 855 Millimetern auf.

 

Yamaha XT 600 Der Fahrer findet auf der XT einen komplett ausgestatteten Arbeitsplatz vor. Selbst einen Blinkerschalter mit automatischer Rückstellung, eine Lichthupe und auch wieder einen Drehzahlmesser, der früher einmal dem Rotstift zum Opfer gefallen war, hat die Yamaha nun vorzuweisen. Ist der gut versteckte, am Vergaser plazierte Choke erst einmal gezogen, nimmt der Motor selbst nach längerer Standzeit nach wenigen Kurbenwellenumdrehungen bereitwillig seine Arbeit auf. Das komplett überarbeitete Fünfganggetriebe läßt sich, jedenfalls für Yamaha-Verhältnisse, butterweich schalten. Bereits bei niedrigen Drehzahlen zerrt die Kette mächtig am Hinterrrad und sorgt so für ordentlichen Vorwärtsdrang. Die fünf Gänge können zügig oberhalb von 3000 U/min. durchgeschaltet werden. Höhere Drehzahlen sind nicht erforderlich um im nächsthöheren Gang Anschluß zu finden. Nur im höchsten Gang sollte die Drehzahl nicht unter 3000 U/min. abfallen, da sich sonst die ganze Fuhre etwas unwillig schüttelt.
Von weiteren Schütteleien bleibt der Fahrer dank Ausgleichswelle weitgehend verschont. Grobe, einzylindertypische Vibrationen in den Fußrasten treten eigentlich nur im Bereich um 4000 U/min. auf, stören aber nicht weiter. Anders sähe es womöglich aus, wenn Yamaha statt der vielgescholtenen Gummirasten rutschfeste, geländetaugliche Metallteile angeschraubt hätte.
Die XT 600 fühlt sich auf allen Pisten wohl, insbesondere auf kurvigen Landstraßen. Je mieser das Pflaster, desto deutlicher treten die Vorzüge der großvolumigen Enduro gegenüber einer Straßenmaschine zutage. Nur die Autobahn sollte es nicht unbedingt sein. Das kleine Windschild hält zwar mehr Druck vom Fahrer fern, als man ihm ansieht, aber ab etwa 140 km/h fängt das Krad unangenehm – wenn auch nicht gefährlich – an zu schaukeln. Abgefahrene Reifen verstärken diesen Effekt noch. Serienmäßig ist die Yamaha mit Bridgestone Trail-Wing der Größe 90/90-21 S 54 vorne und 120/90-17 64S hinten besohlt. Nach gerade mal 6500 Kilometern mußte der Hinterreifen einer Neuanschaffung weichen, denn von der anstehenden Italienreise hätte er wohl höchstens noch die Anfahrt überstanden. Als Ersatz wurde ein Metzeler Enduro 3 aufgezogen, ein Reifen mit guten Laufeigenschaften in allen Situationen und einer höheren Haltbarkeitsdauer. Nach 9200 Kilometern war zwar noch ein Restprofil vorhanden, doch die bevorstehende Hauptuntersuchung ließ es angeraten erscheinen, nach einem neuen Gummi Ausschau zu halten.
Yamaha XT 600 Insgesamt 15.700 Kilometer hat die XT 600 mittlerweile zurückgelegt, und damit ist auch der Vorderreifen ziemlich am Ende. Nun läuft die Yamaha vorne und hinten auf Metzeler Enduro 4. Das sind Reifen, denen eine überaus hohe Lebensdauer nachgesagt wird. Wir werden sehen. Auf jeden Fall verursacht das Vorderrad nun kein Abrollgeräusch mehr.
Gute Bremsen haben ihren Preis. Die vordere Scheibe wird spielerisch mit dem Fahrzeuggewicht fertig und läßt auch bei ausgiebigen Paßfahrten nicht nach, dafür waren die Beläge nach knapp 16.000 Kilometern völlig runtergerubbelt – und das, obwohl bei der XT 600 wie bei allen großen Eintöpfen die Motorbremse einen Großteil der Verzögerung übernimmt. Die hintere Scheibenbremse belohnt einen ordentlichen Fußtritt mit anständiger Bremswirkung, ist dafür aber nicht so recht zu dosieren.
Der Tankinhalt von 15 Litern ermöglicht bei einem Verbrauch von etwa 4,5 Litern Normalsprit eine Reichweite von über 300 Kilometern und macht die XT dadurch beinahe zur Reiseenduro. Nur – siehe oben – die Autobahn sollte es nicht sein. Beladen mit kompletter Campingausrüstung steigt der Verbrauch bei einer Reisegeschwindigkeit um die 135 km/h gleich um zwei Liter an. Das klingt zwar noch vertretbar, reduziert aber den Aktionsradius um ganze 100 Kilometer. Die ausreichend breite und komfortable Sitzbank sowie die aufrechte Sitzhaltung lassen allemal größere Reiseetappen zu.
Yamaha XT 6001995 stand die XT noch mit knapp 10.000,- DM in der Liste. Doch die Konkurrenz schläft nicht, und so wurde der Preis für 1997 um einen Tausender gesenkt. Wahrscheinlich hat sich herumgesprochen, daß es heutzutage Neukonstruktionen wie die verkleidete „Freewind” von Suzuki für etwas über 10.000,- DM oder die Honda SLR 650 für neun Scheine zu kaufen gibt. Etwas unverständlich sind die hohen Inspektionskosten. Will man den Garantieanspruch nicht verwirken, so ist alle 6000 Kilometer eine über 300,-DM teure Inspektion angesagt, zuviel für ein so simples Fahrzeug. Besonders, wenn man weiß, daß die Inspektion bei einer wesentlich komplizierter aufgebauten Honda VFR 750 F für etwa die Hälfte zu haben ist.
Beim Kauf wurde gleich ein Hauptständer der Marke „Five Stars” geordert, der dann auch schon zwölf Monate später nachgeliefert wurde. Das Warten hat sich allerdings nicht gelohnt. Eine saumäßige Übersetzung macht das Aufbocken zum echten Kraftakt. So gesehen hätte man die 169,- DM besser sparen können und für Radausbau und Kettenpflege auf altbewährte Universal-Aufbockvorrichtungen zurückgreifen sollen. Besser angelegt waren da schon die Scheine für den paßgenauen und sehr stabilen Gepäckträger (siehe oben).
Die vorerst letzte Änderung erfuhr die Yamaha XT 600 E im Jahre 1996, als die Motorleistung von 45 auf 39 PS zurückgenommen wurde.
Die meisten Einzylinder aus dem Hause Yamaha sind Dauerbrenner. Während die SR 500 seit mittlerweile 20 Jahren vom Band rollt, hat es der Ahnherr aller modernen Einzylinder-Motorräder, die legendäre XT 500, immerhin auf 14 Jahre Bauzeit und über 25.000 in Deutschland zugelassene Exemplare gebracht. Die XT 600 rollt etwa 30.000 mal über Deutschlands Straßen. Sie ist damit die am meisten verbreitete Enduro und auf dem besten Wege, den zweiten Rang unter den Dauerläufern einzunehmen, denn nichts deutet darauf hin, daß dieses beliebte Allzweckmotorrad in absehbarer Zeit durch eine Neuentwicklung ersetzt wird.