aus bma 06/97
von Klaus Herder
Na los jetzt, sag’s schon.
„Moin Herr Nachbar. Schönes Wetter zum Motorradfahren, nich?”
Ja, ja, du alter Sack. Nun sag es doch endlich.
„Wir sind ja früher auch Motorrad gefahren. Ne Ennessuh war das ”
Will gar keiner wissen, aber nun laß es endlich raus.
„Na, Sie mit ihrer Harrlei sind da wohl’n büschen flotter unterwegs, was?”
Jaahhaa, er hat es gesagt. Er hat es tatsächlich gesagt. Sind die zwölf Riesen doch richtig angelegt. Er hat Harley gesagt!
Das sind die Momente im Leben eines Softchopper-Besitzers, die alle Müh‘ und Qual vergessen machen. Scheißegal, daß er Hobel den Hubraum eines Fiat 126 hat und die Fahrleistungen eines R4 erreicht. Das Ding sieht wie das vermeintliche Original aus und wird folgerichtig dafür gehalten. Zumindest von 98 Prozent aller Nachbarn.
An dieser Stelle erübrigt sich eigentlich der Begriff „Fahrbericht” im Zusammenhang mit der Yamaha XVS 650 Drag Star. Ums Fahren geht es bei dem „Mittelgewichts-Cruiser” (O-Ton Yamaha) – wenn überhaupt – nur an zweiter und letzter Stelle. Oder interessiert es ernsthaft irgendjemanden, ob die Zug- und Druckstufendämpfung des versteckt montierten Zentralfederbeins gelungen ist? Eben. Wofür der ein‘ oder andere Spät- oder Wiedereinsteiger 11.990 Mark ausgibt, ist in allererster Linie die Show. Wer etwas anderes behauptet, ist ein Heuchler oder hat schlicht und einfach die deutlich fahraktiveren Angebote vom Schlage einer Honda CB 500 oder Kawasaki GPZ 500 übersehen. Die Drag Star soll Eindruck schinden. Und das gelingt ihr hervorragend. Das Bürzel-Heck, die Starrahmen-Illusion, der breite Tank, die Sidepipes – das alles ist so hervorragend komponiert und so gelungen arrangiert, daß man den Yamaha-Designern neidlos Respekt zollen muß. Der Show-Wert geht so weit, daß einige Details das amerikanische Vorbild noch übertreffen. So zum Beispiel die verchromte und offen laufende Kardanwelle der Drag Star. Das Bauteil sieht tausendmal besser aus als der wurstige Riemenantrieb einer Harley-Davidson. Griffe, Schalter, Fußrasten – die Yamaha beweist auch in Kleinigkeiten Liebe zum Detail. Macht es da etwas aus, daß unter der üppigen Verrippung der beiden Zylinder gerade mal ein aufgeblasener XV 535-Motor steckt? Stört es vielleicht jemanden, daß ein nicht unerheblicher Teil des Chrom-Zierrats aus Plastik und nicht aus Metall besteht? Wohl kaum, die Drag Star schmückt ihren Fahrer. Das reicht, und daran ist auch nichts verwerfliches. Jeder Smoking und jedes Abendkleid machen nichts anderes.
Da aber im Gegensatz zur Damen- und Herren-Oberbekleidung Motorräder zwischen zwei Auftritten nicht im Schrank verschwinden, sondern auf eigener Achse von Show zu Show bewegt werden, sind einige Praxis- und Fahreindrücke vielleicht doch ganz interessant.
Der Start: Natürlich sitzt das Zündschloß nicht da, wo motorradfahrende Pragmatiker es erwarten. Yamaha fügt der langen Liste der Chopper-Zündschloß-Verstecke ein weiteres hinzu. Rechts im Lenkkopf, an einer Stelle, wo gemeinhin nur mit einem konventionellen Lenkschloß gerechnet wird, ist zusätzlich die Schlüsselstelle zum Zündstrom untergebracht. Der Zweizylinder-V-Motor kann ausschließlich elektrisch gestartet werden. Das klappt auch ganz gut, vorausgesetzt, der Choke ist gezogen. Ach ja – wo sitzt eigentlich der Choke? Zwischen 16 Liter-Tank und zweiteiliger Sitzbank; was gar nicht mal so unpraktisch ist, nur leider etwas peinlich aussehen kann. Das Zurücknehmen der Starthilfe wirkt nämlich so, als ob sich der Fahrer ans Gemächte fassen würde. Das Startverhalten der Drag Star ist übrigens tadellos.
Was da gestartet wird, basiert motormäßig – wie bereits erwähnt – auf dem altbekannten XV 535-Zweizylinder. Etwas mehr Bohrung, etwas mehr Hub, im Durchlaß reduzierte Gleichdruckvergaser, neue Ansaugwege – fertig war der auf Drehmomentzuwachs getrimmte Cruisermotor. Brauchte die XV 535 noch 6000 U/min um 47 Nm zu stemmen, reichen bei der Drag Star gerade mal 3000 Touren für 51 Nm. Die Neue hat mit 649 ccm zwar mehr Hubraum, büßte im Rahmen der Cruiser-Kur aber vier von ursprünglich 44 PS ein. Der Charakter des luftgekühlten Twins änderte sich bei der Gelegenheit nachhaltig. Wurde die XV 535 erst mit steigender Drehzahl richtig munter, verhält es sich bei der Drag Star genau umgekehrt. Unten herum geht fast alles aus dem Keller, und ab 40 km/h ist der fünfte und letzte Gang angesagt. Ab 80 km/h sind kräftige, aber nicht unbedingt unangenehme Vibrationen spürbar, ab 130 km/h wirkt der Twin nur noch müde und lustlos. Bei knapp 150 km/h ist dann endgültig Schicht. Was aus den beiden Auspufftöpfen entweicht, klingt durchweg ganz nett. Kerniges Bollern ist aber etwas anderes.
Der klassische Doppelschleifen-Rohrrahmen mitsamt Federelementen ist zwar eine völlige Neukonstruktion – die Starrahmen-Optik mußte ja irgendwo herkommen – doch in Sachen Fahrstabilität und Federungskomfort war das alte XV 535-Gebälk auch nicht schlechter. Im Gegenteil. Mit üppigen 1610 Millimetern Radstand und rekordverdächtigen 153 Millimetern Nachlauf rennt die Drag Star zwar ordentlich geradeaus, doch bereits die ersten nicht ganz pottebenen und etwas engeren Kurven bringen Unruhe ins Fahrwerk. Die Gabel geht beim scharfen Anbremsen auf Block, das Vorderrad kippt vehement in die Kurve, die Dämpfung des zu straff abgestimmten Zentralfederbeins kommt mit der Arbeit nicht nach, und die relativ weit vorn angebrachten Fußrasten kratzen bereits bei moderater Schräglage die Kurve. Wer aufrecht und gemütlich ums Eck cruist, bekommt aber vermutlich keine Probleme. Die Vorderradbremse findet auch vor den Händen Fortgeschrittener Gnade, die hintere Trommelbremse erledigt ihren Job ebenfalls zufriedenstellend.
Vor lauter Schönheit vergaßen die Konstrukteure nicht ein paar praktische Nettigkeiten. So ist die Seitenstütze in Länge, Anlenkung und Stabilität goldrichtig geraten, die Blinker sind gummigelagert montiert, und die beiden Rückspiegel zeigen tatsächlich ausschließlich den rückwärtigen Verkehr.
Fassen wir zusammen: Die Drag Star hat einen ordentlichen Motor, der mit rund fünf Litern Normalbenzin nicht zuviel verbraucht und zumindest untenherum so etwas wie Bumms hat. Das Fahrwerk ist keine Offenbarung, aber es sieht geil aus und immerhin tun es die Bremsen recht passabel. Der eigentliche Grund, zur Drag Star zu greifen, ist das rattenscharfe Aussehen. Selbst ausgewiesene Chopper- und Cruiser-Hasser ertappen sich dabei, daß sie sich für einen kurzen Moment genußvoll auf der unverschämt niedrigen Sitzbank und vor dem höllisch breiten Lenker lümmeln. Abgesehen davon, daß die Nummer mit dem Nachbarn jede müde Drag Star-Mark wert ist.
—
Kommentare