aus bma 1/12 – Fahrbericht

von Klaus Herder

Yamaha YZF 125 R WheelieErinnern Sie sich noch an Ihr erstes motorisiertes Zweirad? Natürlich tun Sie das; denn nie wieder war die Freiheit so grenzenlos. Nie wieder Bus und Bahn benutzen müssen, nie wieder um eine Mitfahrt betteln, nie wieder neidisch auf die Mopeds der Kumpel schauen – und endlich Schlag bei den Mädels haben. Ein 16-Jähriger ohne Kleinkraft- bzw. Leichtkraftrad? In den 70er und 80er Jahren nur schwer vorstellbar. Ersatzweise ging noch ein Mokick, ein Mofa war schon grenzwertig und eher was für Mädchen – aber immer noch besser als nichts.

Wer das Glück hatte, vor dem 1. April 1980 das 16. Lebensjahr vollendet zu haben, und im Besitz eines Führerscheins der Klasse 4 war, gehörte zur Kleinkraftrad-Generation. Traumhafte Zeiten: Der Lappen kostete nur rund 40 Mark für die theoretische Prüfung, eine praktische Ausbildung oder gar Prüfung gab’s nicht. Die einzige technische Beschränkung lautete „maximal 50 cm³ Hubraum“, was uns die legendären 6,25 PS der Platzhirsche von Hercules, Kreidler und Zündapp bescherte. Aber es waren auch teure Zeiten; denn die bis in den fünfstelligen Bereich drehenden und knapp 100 km/h schnellen Zwiebacksägen fielen mit ihren unerfahrenen und übermotivierten Piloten wie die Fliegen, was die Versicherungsprämien auf 600 Mark und mehr pro Jahr hievte. Zudem kosteten die Top-Geräte auch ein kleines Vermögen. Für eine Hercules Ultra III LC – DER Traum aller pubertierenden Nachwuchs-Racer – wurden zuletzt über 4000 Mark verlangt. Für die meisten von uns unbezahlbar, für den Autor dieser schwer nostalgischen Zeilen reichte es nur zu einer echt fies aussehenden, aber nur 300 Mark teuren Yamaha FS1 mit bescheidenen 5,2 PS und aus gefühlter sechster Hand. Welch Schmach, aber damit ging es beim Tanken immerhin an die cheffige Autosäule, nicht an den peinlichen Handbetrieb-Zapfer – Stichwort „Getrenntschmierung“!

Yamaha YZF 125 R mit SoziaDoch ich schweife ab, zurück zu den Rahmenbedingungen für motorradverrückte 16-Jährige: Mit Einführung der Führerscheinklasse 1b am 1.4.1980 ersetzten die schwer reglementierten Leichtkrafträder nach und nach die wilde KKR-Meute. Hubraum maximal 80 cm³, Höchstleistung bei maximal 6000/min, Höchstgeschwindigkeit maximal 80 km/h – so lauteten die Vorgaben. Der 1b-Führerschein war deutlich teurer, die Versicherungsprämien dafür aber wesentlich günstiger – zumindest in der ersten Zeit. Der Neukauf wurde ebenfalls erleichtert, denn die deutschen 50er-Hersteller mit ihren teuren Top-Geräten starben aus, die angesagten Maschinen kamen fortan aus Japan – und waren bezahlbar. Eine 6,8 PS starke Yamaha RD 80 kostete 2795 Mark, was sogar mit einem schmalen Lehrlings-Salär und etwas Oma-Sponsoring zu stemmen war.

Yamaha YZF 125 R CockpitWer im Jahr der 80er-Leichtkraftrad-Einführung geboren wurde, konnte sich als 16-Jähriger über einen Hubraum-Nachschlag freuen: Seit dem 1. März 1996 darf der Nachwuchs mit maximal 125 cm³, 15 PS und 80 km/h unterwegs sein. Eine Bestimmung, die bis heute gilt. Die 125er-Klasse wurde im Rahmen der Neuregelung aber auch für eine ganz andere Zielgruppe interessant: für die reiferen Semester, die ihren Autoführerschein vor dem 1.4.1980 erworben haben und damit ebenfalls 125er fahren dürfen – und das sogar ohne Geschwindigkeitsbeschränkung.

Tabellenführer bei den unverändert Leichtkraftrad genannten Einstiegsgeräten ist seit ein paar Jahren Yamaha. Die Japaner mit den Stimmgabeln im Logo bedienen rund 30 Prozent des deutschen Marktes, und der Hauptgrund dafür heißt YZF-R125. Von der unangefochtenen Nummer eins der 125er-Hitliste verkaufte Yamaha bis Ende Oktober 2011 exakt 1550 Exemplare. Das reicht für den dritten Platz der internen Yamaha-Wertung. Nur die XJ6 (1704 Stück) und die FZ8 (1622) gingen besser, gestandene Modelle wie die Super Ténéré (938) und die R1 (386) deutlich schlechter.

Yamaha YZF 125 R SchwingeMit der 2008 präsentierten YZF-R125 setzte Yamaha einen echten Meilenstein: Erstmalig sah ein Achtelliter-Sportler nicht mehr wie ein eingelaufenes Superbike aus, sondern bot sehr erwachsene Abmessungen von Fahrwerk und Verpackung in Kombination mit einem Arbeitsplatz, der auch langen Kerls passt – heutige 16-Jährige messen nun mal nicht nur in Ausnahmefällen über 1,80 Meter.

Am amtlichen Auftritt, der dafür sorgt, dass der Yamaha-Fahrer stets respektvoll gegrüßt wird, hat sich bis heute gottlob nichts geändert. Die „kleine“ R wurde damit sogar zum Trendsetter, als härtester Wettbewerber musste Honda dringend nachbessern und verpasste der CBR 125 R für 2011 ein deutlich erwachseneres Outfit. Im Vergleich mit Yamaha hat Honda damit kräftig aufgeholt, doch Überholen ist etwas ganz anderes. Für die Honda spricht der um rund 600 Euro günstigere Preis, Yamaha punktet mit anderen Tugenden. Zum Beispiel mit dem famosen Motor: Der flüssigkeitsgekühlte Einzylinder-Viertakter ist im Unterschied zu den meisten Wettbewerbern ein Langhuber (Bohrung 52 mm, Hub 58,6 mm), was ihm eine fette Drehmomentkurve und ein angenehm niedriges Drehzahlniveau beschert. Munteres Mitschwimmen im Stadtverkehr ist mit gut 5000/min locker machbar, der Racer erwacht bei 8000 Touren, dazwischen bleibt viel Raum für stressfreies Landstraßen-Schwingen. Der Fahrer freut sich dabei über einen – für Sportler-Verhältnisse – perfekten Arbeitsplatz: tiefliegende Lenkerstummel, schmaler 13,8-Liter-Tank, nicht zu breiter Sitz, griffige Alu-Fußrasten genau dort, wo sie hingehören – dass passt. Und zwar auch längeren Menschen. Einzig das Cockpit birgt noch Verbesserungspotenzial, denn die In­stru­mente sind etwas mager bestückt. Eine Wassertemperaturanzeige sowie Tank- und Zeituhr stehen noch auf der Wunschliste und können eigentlich nicht die Welt kosten.

Yamaha YZF 125 R BremseDer von der italienischen Yamaha-Tochter Minarelli entwickelte und gebaute Vierventil-Single reizt das Leichtkraftrad-Limit von 15 PS aus. Die Spitzenleistung liegt bei 9000/min an, das maximale Drehmoment von 12 Nm wird bei 8000 Touren gestemmt. Das klingt zunächst unspektakulär, liegt aber spürbar über dem Klas­sen­schnitt und sorgt dafür, dass die 141 Kilo Kampfgewicht plus Fahrer recht munter unterwegs sein können. Das breite nutzbare Drehzahlband der japanisch-italienischen 125er garantiert, dass auch an längeren Steigungen kein Frust aufkommt und dass auch nicht übertrieben oft im leicht zu schaltenden Sechsganggetriebe gerührt werden muss. In der Ebene fällt aus dem Stand nach 14,8 Sekunden die 100-km/h-Marke (vorausgesetzt natürlich, man hat es mit der ungedrosselten „Ü18-Ausführung“ zu tun…), und erst bei echten 130 km/h ist unter günstigen Bedingungen wirklich Feierabend. Für eine 125er sind das hervorragende Fahrleistungen. Die Übersetzung könnte sogar noch einen Tick länger ausfallen, denn bei Topspeed rennt die Yamaha in den Begrenzer, der bei gut 10000/min eingreift.

Yamaha YZF 125 R Das eher straff abgestimmte und sehr stabile Fahrwerk verkraftet ein solches Tempo locker. Die an einem Brückenrahmen aus Stahl montierten und an der Hinterhand mit einer bananenförmig gebogenen Aluschwinge kombinierten Federelemente sind zwar keine extremen Sensibelchen, aber ihr Ansprechverhalten ist auch noch unter einer etwas gewichtigerer Besatzung tadellos und gibt das beruhigende Gefühl, stets mit sattem Bodenkontakt und absolut schaukelfrei unterwegs zu sein. Das ist besonders dann Gold wert, wenn es mal etwas brenzlig werden sollte und die gewaltig zupackende und fein dosierbare Vorderradbremse in Aktion tritt. Der Doppelkolben-Schwimmsattel beißt heftigst in die 292-mm-Scheibe und reizt die klassen-unüblich langen 130 mm Federweg der Telegabel weitgehend aus. Die Yamaha-Bremsen sind momentan die Referenz bei den 125ern. Die besonders bei Nässe nicht unbedingt referenzverdächtigen Michelin Pilot Sporty sollten aber möglichst nicht montiert sein, mit den Bridgestone BT 45 ist der Yamaha-Pilot deutlich souveräner unterwegs und kann die gute, aber im Klassenvergleich betrachtet nicht übertrieben große Handlichkeit der Yamaha voll auskosten.

Und das auch gern über viele Kilometer am Stück, denn mit einem Durchschnittsverbrauch von fast schon rekordverdächtigen 2,5 Litern auf 100 Kilometern kommt die YZF-R125 locker über 500 Kilometer weit, ohne Sprit nachfassen zu müssen. Selbst Grobmotoriker am Gasgriff werden es kaum schaffen, den Verbrauch über die Drei-Liter-Marke zu treiben. Ein starker und sparsamer Motor, hervorragende Bremsen sowie ein ausgezeichnetes Fahrwerk – kann man da noch mehr loben? Kann man, zum Beispiel die saubere Verarbeitung des 4000 Euro (plus ggf. rund 250 Euro für die 80-km/h-Drosselung) kostenden Sportlers. Die Yamaha ist eben nicht nur in ihren Abmessungen absolut erwachsen. Und sie ist der eindeutige Beweis dafür, dass früher nicht alles besser war. Zumindest nicht die Einsteigerklasse…